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Amerika

Amerika

Titel: Amerika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
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Delamarche zu tun, sie hielt den Gucker nur lose vor Karls Gesicht, und Karl konnte, ohne daß sie es besonders beachtete, unter dem Gucker hinweg auf die Straße sehen. Später bestand sie auch nicht mehr auf ihrem Willen und benützte den Gucker für sich.
    Aus dem Gastbaus unten war ein Kellner getreten, und aus
    der Türschwelle hin und her eilend, nahm er die Bestellungen der Führer entgegen. Man sah, wie er sich streckte, um das Innere des Lokals zu übersehen und möglichst viel Bedienung herbeizurufen. Während dieser offenbar einem großen
    Freitrinken dienenden Vorbereitungen ließ der Kandidat nicht vom Reden ab. Sein Träger, der riesige, nur ihm dienende Mann, machte immer nach einigen Sätzen eine kleine Drehung, um die Rede allen Teilen der Menge zukommen zu lassen. Der Kandidat hielt sich meist ganz zusammengekrümmt und versuchte mit
    ruckweisen Bewegungen der einen freien Hand und des
    Zylinders in der anderen seinen Worten möglichste
    Eindringlichkeit zu geben. Manchmal aber, in fast regelmäßigen Zwischenräumen, durchfuhr es ihn, er erhob sich mit
    ausgebreiteten Armen, er redete nicht mehr eine Gruppe,
    sondern die Gesamtheit an, er sprach zu den Bewohnern der Häuser bis zu den höchsten Stockwerken hinauf, und doch war es vollkommen klar, daß ihn schon in den untersten Stockwerken niemand hören konnte; ja, daß ihm auch, wenn die Möglichkeit gewesen wäre, niemand hätte zuhören wollen, denn jedes
    Fenster und jeder Balkon war doch zumindest von einem
    schreienden Redner besetzt. Inzwischen brachten einige Kellner aus dem Gasthaus ein mit gefüllten leuchtenden Gläsern
    besetztes Brett, im Umfang eines Billards, hervor. Die Führer organisierten die Verteilung, die in Form eines Vorbeimarsches an der Gasthaustür erfolgte. Aber obwohl die Gläser auf dem Brett immer wieder nachgehüllt wurden, genügten sie für die Menge nicht, und zwei Reihen von Schankburschen mußten
    rechts und links vom Brett durchschlüpfen und die Menge
    weiterhin versorgen. Der Kandidat hatte natürlich mit dem Reden aufgehört und benützte die Pause, um sich neu zu
    kräftigen. Abseits von der Menge und dem grellen Licht trug ihn sein Träger langsam hin und her, und nur einige seiner nächsten Anhänger begleiteten ihn dort und sprachen zu ihm hinauf.
    »Sieh mal den Kleinen«, sagte Brunelda, »er vergißt vor lauter Schauen, wo er ist.« Und sie überraschte Karl und drehte mit beiden Händen sein Gesicht sich zu, so daß sie ihm in die Augen sah. Es dauerte aber nur einen Augenblick, denn Karl schüttelte gleich ihre Hände ab, und ärgerlich darüber, daß man ihn nicht ein Weilchen in Ruhe ließ, und gleichzeitig voll Lust, auf die Straße zu gehen und alles von der Nähe anzusehen, suchte er sich nun mit aller Kraft vom Druck Bruneldas zu befreien und sagte: »Bitte, lassen Sie mich weg.«
    »Du wirst bei uns bleiben«, sagte Delamarche, ohne den Blick von der Straße zu wenden, und streckte nur eine Hand aus, um Karl am Weggehen zu verhindern.
    »Laß nur«, sagte Brunelda und wehrte die Hand des
    Delamarche ab, »er bleibt ja schon.« Und sie drückte Karl noch fester ans Geländer, er hätte mit ihr raufen müssen, um sich von ihr zu befreien. Und wenn ihm das auch gelungen wäre, was hätte er damit erreicht! Links von ihm stand Delamarche, rechts hatte sich nun Robinson aufgestellt, er war in einer regelrechten Gefangenschaft.
    »Sei froh, daß man dich nicht hinauswirft«, sagte Robinson und beklopfte Karl mit der Hand, die er unter Bruneldas Arm durchgezogen hatte.
    »Hinauswirft?« sagte Delamarche. »Einen entlaufenen Dieb
    wirft man nicht hinaus, den übergibt man der Polizei. Und das kann ihm gleich morgen früh geschehen, wenn er nicht ganz ruhig ist.«
    Von diesem Augenblick an hatte Karl an dem Schauspiel
    unten keine Freude mehr. Nur gezwungen, weil er Bruneldas wegen sich nicht aufrichten konnte, beugte er sich ein wenig über das Geländer. Voll eigener Sorgen, mit zerstreuten Blicken sah er die Leute unten an, die in Gruppen von etwa zwanzig Mann vor die Gasthaustüre traten, die Gläser ergriffen, sich umdrehten und diese Gläser in der Richtung gegen den jetzt mit sich beschäftigten Kandidaten schwenkten, einen Parteigruß ausriefen, die Gläser leerten und sie, jedenfalls dröhnend, in dieser Höhe aber unhörbar, auf das Brett wieder niedersetzten, um einer neuen, vor Ungeduld lärmenden Gruppe Platz zu
    machen. Über Auftrag der Führer war die Kapelle, die bisher im Gastbaus

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