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Falkengrund Nr. 31

Falkengrund Nr. 31

Titel: Falkengrund Nr. 31 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
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    Im Spätfrühling des Jahres 1978, keine vier Jahre, nachdem auf Schloss Falkengrund die vier jungen Mitglieder eines Filmteams verschwunden waren, sah man eines Nachmittags einen grünen Opel Kadett A 1000 durch Wolfach fahren, einen Wagen, der schon seit über zehn Jahren nicht mehr gebaut wurde. Er schlug den Weg zum Schloss ein und fuhr außergewöhnlich langsam und kantig, als steure ihn ein Fahranfänger.
    Hinter dem Lenkrad saß allerdings kein Jugendlicher. Der Mann trug einen voluminösen Vollbart zu seiner Glatze, und obwohl die Witterung noch frisch war, spannte sich ein Kurzarm-Polohemd über seinen enormen Bauch. Unter seinen Armen breiteten sich großflächige Schweißflecken aus.
    Auf dem Beifahrersitz hatte es sich ein Beagle bequem gemacht. Das Tier blickte gelangweilt aus dem Fenster.
    Nun war Wolfach im Schwarzwald nicht so klein, dass die Bewohner jedes ortfremde Auto sofort erkannt und gaffend am Straßenrand gestanden hätten. Dass der grüne Wagen dennoch jedem auffiel, dafür sorgte der kleine, beinahe eiförmige Wohnwagen, den er hinter sich herzog. Der Campingplatz lag in der anderen Richtung, und fraglich blieb, ob das Auto überhaupt genügend Pferdestärken aufbringen würde, um den Anhänger die steilen Straßen auf die Anhöhe zu schleppen.
    Am Ortsausgang schlossen drei Männer Wetten darüber ab, wann der Mann zu Fuß den Hang herabkommen würde, um sich im Dorf ein Telefon zu leihen und den Pannendienst des ADAC zu rufen. Dass er zurückkommen würde, um Hilfe zu suchen, bezweifelte niemand.
    Nun, sie waren nicht die Ersten, die die Hartnäckigkeit von Dr. Ronald Schlichter unterschätzten.
    Der 63-jährige, der sich selbst die Berufsbezeichnung „Parapsychologe“ ans Revers heftete, allerdings in Physik promoviert hatte, war von großer innerer Ruhe erfüllt. Er sah am Leben das Genussvolle und Positive. Allem, was finster und tragisch anmutete, sprach er keinen bleibenden Wert zu. Er glaubte, dass nichts auf der Welt so schlimm war, dass man es nicht bei einer Schweinshaxe mit Knödeln vergessen konnte. Auch die Geister waren nur Menschen, und zwar Menschen, die genießen wollten, was ihnen jemand weggenommen hatte – ein paar Jahre mehr Lebenszeit, um die sie ein frühzeitiger Tod betrogen hatte, eine Liebe, die nicht zustande gekommen war.
    Man musste die Geister verstehen, nicht fürchten oder hassen. An ihnen war nicht mehr Monströses als an einem lebenden Menschen, der für ein leckeres Wildbret einen Hirsch tötete. Poltergeister mussten eben Geschirr zerschlagen, um auf sich aufmerksam zu machen.
    Diesem Baron Lorenz von Adlerbrunn, der angeblich auf Schloss Falkengrund spukte, versuchte die Öffentlichkeit gleich eine ganze Reihe von Morden in die Schuhe zu schieben. Ronald hielt es für wenig plausibel, dass ein Geist Menschen tötete. Manchmal starben Leute auch aus Hysterie. Oder sie starben gar nicht, verschwanden nur.
    Wenn er heute mit seinem Wohnwagen, einem Kofferraum voll technischer Geräte und einer großen Kiste Proviant nach Falkengrund fuhr, dann nicht, um ein Ungeheuer zur Strecke zu bringen, sondern um ein großes Missverständnis aufzuklären und ein Gespenst kennenzulernen, das in den letzten 85 Jahren in viel zu viele solcher Missverständnisse verwickelt gewesen war.
    Auf halber Höhe am Berg gab es mehrere Stellen, an denen die Räder des Kadetts durchdrehten. Na und? Ruckweise ließ Ronald Wagen und Anhänger bergab rollen, um immer neue Versuche zu starten. Ein gequält aufheulender Motor, Schrammen im Lack oder eine rauchende Kupplung brachten ihn nicht aus der Ruhe. Ein Auto fuhr, solange es fuhr, und wenn es über den Jordan war, kaufte man eben ein neues … Altes.
    Am schwierigsten Punkt fischte er eine Tafel Ritter Sport Vollmilch aus einem Karton auf dem Rücksitz (eine von zwanzig) und hatte sie in drei Minuten hinuntergeschlungen. Das Kühlwasser kochte, als er die Anhöhe erreichte, und das Auto war selbst eine Art Spuk in einer Wolke aus Dampf und Rauch.
    Aus dieser Wolke heraus tauchte die Mauer auf, die Falkengrund umgab. Ronald hatte sie schon beinahe passiert, da ging er vom Gas, zog mit einem hässlichen Schnarren die Handbremse und stellte den Motor ab. Vier Anläufe brauchte er, um sich aus dem Wagen zu hieven. „Bleib sitzen, Anuschka“, wies er seinen Hund an. Wie immer scherte sich die Beagle-Hündin einen feuchten Kehricht um seine Befehle und sprang hinter ihm ins Freie. Bellend jagte das Tier umher, genoss die Bewegung

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