Amerika
Gesicht hinab- und unter das Hemd geronnen und hatte Karl solchen Schrecken eingejagt.
»Sie sind wohl noch immer da?« fragte der Mann und
blinzelte hinüber.
»Jetzt gehe ich aber wirklich schon«, sagte Karl »ich wollte hier nur etwas anschauen, im Zimmer ist es ganz finster.«
»Wer sind Sie denn?« sagte der Mann, legte den Federhalter in das vor ihm geöffnete Buch und trat an das Geländer. »Wie heißen Sie? Wie kommen Sie zu den Leuten? Sind Sie schon
lange hier? Was wollen Sie denn anschauen? Drehen Sie doch Ihre Glühlampe dort auf, damit man Sie sehen kann.«
Karl tat dies, zog aber, ehe er antwortete, noch den Vorhang der Tür fester zu, damit man im Inneren nichts merken konnte.
»Verzeihen Sie«, sagte er dann im Flüsterton, »daß ich so leise rede. Wenn mich die drinnen hören, habe ich wieder einen
Krawall.«
»Wieder?« fragte der Mann.
»Ja«, sagte Karl, »ich habe ja erst abends einen großen Streit mit ihnen gehabt. Ich muß da noch eine fürchterliche Beule haben.« Und er tastete hinten seinen Kopf ab. »Was war denn das für ein Streit?« fragte der Mann und fügte, da Karl nicht gleich antwortete, hinzu: »Mir können Sie ruhig alles
anvertrauen, was Sie gegen diese Herrschaften auf dem Herzen haben. Ich hasse sie nämlich alle drei, und ganz besonders Ihre Madame. Es sollte mich übrigens wundern, wenn man Sie nicht schon gegen mich gehetzt hätte. Ich heiße Josef Mendel und bin Student.«
»Ja«, sagte Karl, »erzählt hat man mir schon von Ihnen, aber nichts Schlimmes. Sie haben wohl einmal Frau Brunelda
behandelt, nicht wahr?«
»Das stimmt«, sagte der Student und lachte. »Riecht das
Kanapee noch danach?«
»O ja«, sagte Karl.
»Das freut mich aber«, sagte der Student und fuhr mit der Hand durchs Haar. »Und warum macht man Ihnen Beulen?«
»Es war ein Streit«, sagte Karl im Nachdenken darüber, wie er es dem Studenten erklären sollte. Dann aber unterbrach er sich und sagte: »Störe ich Sie denn nicht?« »Erstens«, sagte der Student, »haben Sie mich schon gestört, und ich bin leider so nervös, daß ich lange Zeit brauche, um mich wieder
zurechtzufinden. Seit Sie da Ihre Spaziergänge auf dem Balkon angefangen haben, komme ich mit dem Studieren nicht
vorwärts. Zweitens aber mache ich um drei Uhr immer eine
Pause. Erzählen Sie also nur ruhig. Es interessiert mich auch.«
»Es ist ganz einfach«, sagte Karl. »Delamarche will, daß ich bei ihm Diener werde. Aber ich will nicht. Ich wäre am liebsten noch gleich abends weggegangen. Er wollte mich nicht lassen, hat die Tür abgesperrt, ich wollte sie aufbrechen, und dann kam es zu der Rauferei. Ich bin unglücklich, daß ich noch hier bin.«
»Haben Sie denn eine andere Stellung?« fragte der Student.
»Nein«, sagte Karl, »aber daran liegt mir nichts, wenn ich nur von hier fort wäre.«
»Hören Sie einmal«, sagte der Student, »daran liegt Ihnen nichts?« Und beide schwiegen ein Weilchen. »Warum wollen Sie denn bei den Leuten nicht bleiben?« fragte dann der Student.
»Delamarche ist ein schlechter Mensch«, sagte Karl, »ich
kenne ihn schon von früher her. Ich marschierte einmal einen Tag lang mit ihm und war froh, als ich nicht mehr bei ihm war.
Und jetzt soll ich Diener bei ihm werden?«
»Wenn alle Diener bei der Auswahl ihrer Herrschaften so
heikel sein wollten wie Sie!« sagte der Student und schien zu lächeln. »Sehen Sie, ich bin während des Tages Verkäufer, niedrigster Verkäufer, eher schon Laufbursche im Warenhaus von Montly. Dieser Montly ist zweifellos ein Schurke, aber das läßt mich ganz ruhig, wütend bin ich nur, daß ich so elend bezahlt werde. Nehmen Sie sich also an mir ein Beispiel.«
»Wie?« sagte Karl, »Sie sind bei Tag Verkäufer und in der Nacht studieren Sie?«
»Ja«, sagte der Student, »es geht nicht anders. Ich habe
schon alles mögliche versucht, aber diese Lebensweise ist noch die beste. Vor Jahren war ich nur Student, bei Tag und Nacht, wissen Sie, nur bin ich dabei fast verhungert, habe in einer schmutzigen alten Höhle geschlafen und wagte mich in meinem damaligen Anzug nicht in die Hörsäle. Aber das ist vorüber.«
»Aber wann schlafen Sie?« fragte Karl und sah den Studenten verwundert an.
»Ja, schlafen!« sagte der Student. »Schlafen werde ich, wenn ich mit meinem Studium fertig bin. Vorläufig trinke ich
schwarzen Kaffee.« Und er wandte sich um, zog unter seinem Studiertisch eine große Flasche hervor, goß aus ihr schwarzen Kaffee in
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