Im Tempel des Regengottes
1
Robert lag in seinem Boot, ausgestreckt in der lauen Lache, die Schultern an die Heckwand gelehnt. Langsam glitt das Kanu dahin, auf den trägen Fluten des New River, unter dem flirrend grünen Gewölbe, zu dem sich sieben Fuß über ihm der Regenwald verflocht. Auf Ästen knapp über dem Wasser lagen Leguane auf der Lauer, moosfarben und starr wie Skulpturen aus Stein. Blaureiher standen auf Baumstümpfen inmitten der Strömung, hochbeinig, die Hälse lotrecht erhoben, ihre langen, dünnen Schnäbel wie Gedankenstriche im Dämmerlicht. Roberts Kanu glitt durchs Wasser, das rötlichbraun und warm wie lebendiges Blut war, und die Sonne streute helle Sprengsel auf die Wellen, die wieder und wieder über die Wasserfläche rollten, wie Schauer über nackte Haut.
Auf einmal hörte er ein Klopfen, leise, doch beharrlich. Unmöglich, dachte er, zum Blätterdach empor blinzelnd, hier gab es weit und breit keine Menschen, niemanden, der mit Hämmern oder Klöppeln schlug. In einer Palmkrone am linken Ufer entdeckte er einen Papagei, der mit seinem massiven Schnabel auf eine Kokosnuß einhieb. Ach, du bist das, dachte er. Da ließ der Papagei von der Kokosnuß ab und stieß ein Krächzen aus, mißgelaunt, wie nur Menschen sein können, und noch seltsamer war, daß jenes Klopfen weiter durch den Dschungel hallte, lauter jetzt, dröhnend wie Faustschläge auf Holz. »Mr. Thompson, ist Ihnen nicht wohl? Nehmen Sie heute keinen Tee?« Die krächzende Stimme klang unangenehm vertraut. Und dazu klopfte es wieder und wieder, und das Kanu zerfiel, und der ganze Regenwald verdampfte im Nu, während Robert mit einem Satz aus Traum und Bett fuhr: »N-nein, Mrs. Molton, nicht sehr wohl und keinen Tee, bitte - verzeihen Sie...«
Noch mehrere Augenblicke stand er an der Tür seines Pensionszimmers in Molton House. Ein Ohr an das Türblatt gelegt, lauschte er nach draußen, wo nichts zu hören war, nur das leise Klirren hauchfeinen Geschirrs. In seinem Kopf erklang immer noch jenes Klopfen, aber schmerzhaft jetzt, stoßweise, und als er sich mit der Hand über die Stirn fuhr, war seine Haut mit klammem Schweiß bedeckt. »Um die Wahrheit zu sagen, Mrs. Molton«, murmelte er, »ich habe einen Kater, schon wieder. Zu viel Rum gestern abend, verstehen Sie?«
Nein, das würde Mrs. Molton, ehrbare Offizierswitwe und Mitglied der »Anglikanischen Organisation Ihrer Majestät zur Bekehrung der Urwaldindianer«, sicher nicht verstehen. Robert wandte sich um und zog sich das knöchellange Leinennachthemd über den Kopf. Im Traum war er nackt gewesen oder allenfalls gegürtet mit einem Lendenschurz. Und die schlanke braune Gestalt, die im Kanu vor ihm auf der Ruderbank gesessen und das Boot hin und wieder mit dem Paddel auf Kurs gehalten hatte... Robert schluckte, sein Mund auf einmal wie verdorrt. Nackt und mager tappte er zum Waschtisch, durch das Halbdunkel seines Zimmers, das mit all den echt britischen Zierdeckchen und Paradekissen und blankäugig stierenden Porzellanpüppchen angefüllt war, vor denen er doch hierher hatte fliehen wollen, nach Fort George, Britisch-Honduras, in die grenzenlose Freiheit der karibischen Kolonie.
Das Dumme war nur, daß ihm der Regenwald dort draußen, die dampfende, vielstimmig rufende Wildnis, eine Furcht einflößte, so rätselhaft und unbezwingbar wie seine Sehnsucht nach Dschungel und Abenteuer, die ihn schließlich hierher gelockt hatte, vor Wochen schon. Im Rasierspiegel über seinem Waschtisch erspähte er das Antlitz der Königin, die golden gerahmt über seinem Bett hing und ihn mit vorwurfsvollem Blick verfolgte, seit er hier eingetroffen war. Da sprang Robert, einem Impuls folgend, zum Fenster und zog die schweren, altrosafarbenen Musselinvorhänge auf. Vom karibischen Mittagslicht überflutet, wandte er sich zu Queen Victoria um.
»Bei meiner Ehre, Majestät«, sprach er, und mit einem Mal klopfte sein Herz noch heftiger als der Katerschmerz in seinem
Kopf, »ich bin hierhergekommen, um im Dschungel mein Glück zu suchen, und ich schwöre, daß ich vor Ablauf dieses Sommers in die Wildnis vordringen werde, und wenn es mich Leib und Leben kostet.«
Unbewegt sah die Königin auf ihn herab, mit so kalter Mißbilligung, daß Robert fröstelnd die Arme vor der Brust verschränkte. Doch unter seiner rechten Hand spürte er sein Herz, das noch immer rasch und heftig klopfte, wie eine Trommel tief im Regenwald.
2
Im cremefarbenen Tropenanzug, über der Schulter seine Tasche mit den
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