Amerika
erschienen und brachten ein Getümmel in den von allen Seiten geradlinig strömenden Verkehr, aber Karl und Therese eilten eng
beisammen in die verschiedenen Büros, Waschanstalten,
Lagerhäuser und Geschäfte, in denen telephonisch nicht leicht zu besorgende, im übrigen nicht besonders verantwortliche
Bestellungen oder Beschwerden auszurichten waren. Therese merkte bald, daß Karls Hilfe hiebei nicht zu verachten war, daß sie vielmehr in vieles eine große Beschleunigung brachte.
Niemals mußte sie in seiner Begleitung wie sonst oft darauf warten, daß die überbeschäftigten Geschäftsleute sie anhörten.
Er trat an das Pult und klopfte so lange mit den Knöcheln darauf, bis es half, er rief über Menschenmauern sein noch immer etwas überspitztes, aus hundert Stimmen leicht herauszuhörendes Englisch hin, er ging auf die Leute ohne Zögern zu, und mochten sie sich hochmütig in die Tiefe der längsten Geschäftssäle zurückgezogen haben. Er tat es nicht aus Übermut und würdigte jeden Widerstand, aber er fühlte sich in einer sicheren Stellung, die ihm Rechte gab, das Hotel Occidental war eine Kundschaft, deren man nicht spotten durfte, und schließlich war Therese trotz ihrer geschäftlichen Erfahrung hilfsbedürftig.
»Sie sollten immer mitkommen«, sagte sie manchmal,
glücklich lachend, wenn sie von einer besonders gut
ausgeführten Unternehmung kamen.
Nur dreimal während der eineinhalb Monate, die Karl in
Ramses blieb, war er längere Zeit, über ein paar Stunden, in Thereses Zimmerchen. Es war natürlich kleiner als irgendein Zimmer der Oberköchin, die wenigen Dinge, welche darin
standen, waren gewissermaßen nur um das Fenster gelagert, aber Karl verstand schon nach seinen Erfahrungen aus dem
Schlafsaal den Wert eines eigenen, verhältnismäßig ruhigen Zimmers, und wenn er es auch nicht ausdrücklich sagte, so merkte Therese doch, wie ihm ihr Zimmer gefiel. Sie hatte keine Geheimnisse vor ihm, und es wäre auch nicht gut möglich
gewesen, nach ihrem Besuch damals, am ersten Abend, noch
Geheimnisse vor ihm zu haben. Sie war ein uneheliches Kind, ihr Vater war Baupolier und hatte die Mutter und das Kind aus Pommern sich nachkommen lassen; aber als hätte er damit
seine Pflicht erfüllt oder als hätte er andere Menschen erwartet als die abgearbeitete Frau und das schwache Kind, die er an der Landungsstelle in Empfang nahm, war er bald nach ihrer Ankunft ohne viel Erklärungen nach Kanada ausgewandert, und die
Zurückgebliebenen hatten weder einen Brief noch eine sonstige Nachricht von ihm erhalten, was zum Teil auch nicht zu
verwundern war, denn sie waren in den Massenquartieren des New Yorker Ostens unauffindbar verloren.
Einmal erzählte Therese – Karl stand neben ihr beim Fenster und sah auf die Straße – vom Tode ihrer Mutter. Wie die Mutter und sie an einem Winterabend – sie konnte damals etwa fünf Jahre alt gewesen sein – jede mit ihrem Bündel durch die
Straßen eilten, um Schlafstellen zu suchen. Wie die Mutter sie zuerst bei der Hand führte – es war ein Schneesturm und nicht leicht vorwärtszukommen –, bis die Hand erlahmte und sie
Therese, ohne sich nach ihr umzusehen, losließ, die sich nun Mühe geben mußte, sich selbst an den Röcken der Mutter
festzuhalten. Oft stolperte Therese und fiel sogar, aber die Mutter war wie in einem Wahn und hielt nicht an. Und diese Schneestürme in den langen, geraden New Yorker Straßen! Karl hatte noch keinen Winter in New York mitgemacht. Geht man gegen den Wind, und der dreht sich im Kreise, kann man keinen Augenblick die Augen öffnen, immerfort zerreibt einem der Wind den Schnee auf dem Gesicht, man läuft, aber kommt nicht
weiter, es ist etwas Verzweifeltes. Ein Kind ist dabei natürlich gegen die Erwachsenen im Vorteil, es läuft unter dem Wind durch und hat noch ein wenig Freude an al em. So hatte auch damals Therese ihre Mutter nicht ganz begreifen können, und sie war fest davon überzeugt, daß, wenn sie sich an jenem Abend klüger – sie war eben noch ein so kleines Kind – zu ihrer Mutter verhalten hätte, diese nicht einen so jammervollen Tod hätte erleiden müssen. Die Mutter war damals schon zwei Tage ohne Arbeit gewesen, nicht das kleinste Geldstück war mehr
vorhanden, der Tag war ohne einen Bissen im Freien verbracht worden, und in ihren Bündeln schleppten sie nur unbrauchbare Fetzen mit sich herum, die sie, vielleicht aus Aberglauben, nicht wegzuwerfen wagten. Nun war der Mutter für den
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