Im Kühlfach nebenan
|5| Prolog
Ich beginne diesen Bericht mit einem Vorfall, der sich ereignete, bevor die Handlung des Buches wirklich beginnt. Meine Lektorin
meint, dies sei ein typischer Fall für einen Prolog und operte was von Aufbau, Dynamik, Spannungsbogen und lauter so Literatenkram.
Die Frau ist ein Freak auf ihrem Gebiet, mir tut ein Prolog nicht weh, also hat sie recht und ich meine Ruhe. So muss man
mit den Weibern umgehen.
Hier geht’s also um einen Vorfall, von dem ich damals, als er sich ereignete, noch nicht einmal etwas ahnte. Und selbst wenn,
hätte mich das nicht die Bohne interessiert. Zu dem Zeitpunkt wusste ich ja noch nicht, dass mein Leben wieder mal in den
Crashtest geschickt werden sollte. Ich rede übrigens von einem Brand. Nichts Außergewöhnliches, mögen Sie jetzt denken, aber
da liegen Sie falsch. Denn erstens fand dieser Brand in einem mittelalterlichen Kloster statt, zweitens in dem Anbau, in dem
die Obdachlosennotschlafstelle untergebracht war, und drittens führte der Brand dazu, dass ich Marlene kennenlernte. Aber
zu ihr komme ich später.
An besagtem Abend also schliefen keine Obdachlosen in dem Anbau, weil die Heizungsanlage renoviert wurde. Der alte Gasofen,
der in einer Ecke für tropische Temperaturen, |6| in der anderen aber höchstens für eine laue Brise und im gesamten Anbau für schlechte Luft gesorgt hatte, sollte gegen eine
moderne, energiesparende Anlage ausgetauscht werden. Neue, billig auf der Wand verlegte Heizungsrohre führten zu den Fensternischen,
in denen die Heizkörper installiert werden sollten. Gegen drei Uhr nachts brach das Feuer aus. Es zerstörte den Anbau, was
für die Kunst- und Architekturgeschichte kein Verlust war, da der Anbau aus den Fünfzigerjahren des zwanzigsten Jahrhunderts
stammte und auch genauso aussah. Unterirdisch hässlich.
Eigentlich hätte sich niemand dort aufhalten sollen, da die Penner, wie bereits gesagt, wegen der Bauarbeiten übergangsweise
umquartiert worden waren. Trotzdem fand die Feuerwehr nach der Löschaktion in den rauchenden Trümmern eine verkohlte Leiche.
Eine zweite Person wurde schwer verletzt, als sie mit ihrem Löscheimerchen vor der altersschwachen Tür stand, die infolge
einer Gasexplosion aus den Angeln gerissen wurde. Besagte Tür sowie ein nachfolgender Feuerball trafen die Löschwillige. Die
verbrannte Leiche landete im Kühlfach fünf des Rechtsmedizinischen Instituts der Uni Köln, die Verletzte wurde in das Krankenhaus
gebracht, in dem auch Martin nach seiner Stichverletzung eingeliefert worden war. Und so fing alles an.
|7| eins
Ich habe Krankenhäuser immer schon gehasst, hasse sie auch jetzt noch und dieses hier hasste ich besonders. Nicht, dass ich
den Leuten nicht dankbar war, dass sie Martin gerettet hatten, nachdem ich an seiner Beinahe-Ermordung schuld war. Aber das,
was Martin rettete, machte mir das Leben zur Hölle: die ultramoderne Ausstattung der Siechenanstalt mit elektrischem, elektronischem
oder sonst wie abgefahrenem Gerät.
Für die, die mich noch nicht kennen, muss ich wohl erst mal klarstellen, mit wem sie es hier zu tun haben. Mein Name ist Pascha
Lerchenberg und ich wurde im rattenkalten Februar dieses Jahres im zarten Alter von vierundzwanzig Jahren ermordet. Meine
Seele verließ den Körper, fand aber den Tunnel mit dem Licht nicht und schimmelt seitdem hier herum. Bei Martin. Martin Gänsewein
ist der Rechtsmediziner, der meine sterbliche Hülle obduzierte. Oder sezierte, wenn Ihnen der Begriff lieber ist. Beides bedeutet,
dass er mich ausweidete wie ein Jäger die Sau, um alles genau zu untersuchen, und dann die Organe wieder in die Bauchhöhle
stopfte und selbige mit groben Stichen zunähte. Martin wurde im Zuge der Ermittlungen in meinem Mordfall erstochen, konnte
aber – anders als ich – wiederbelebt werden und befand |8| sich daher zu dem Zeitpunkt, als Marlene in mein Leben trat, kurz vor der Entlassung aus dem Krankenhaus.
»Martin«, rief ich erleichtert.
Endlich kam er mal aus seinem Zimmer heraus, in dem er sich die meiste Zeit aufhielt, obwohl die Ärzte ihm seit einer Woche
sagten, er solle ruhig häufiger aufstehen und dürfe inzwischen sogar allein in den Krankenhauspark. Martin allerdings zog
die Intimität seines Krankenzimmers vor. Nicht etwa, weil er sich in seinem flauschigen Frotteeschlafanzug unter dem Frotteebademantel
in den echtwollenen Hausschlappen mit Elchmuster lieber nicht in der Öffentlichkeit
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