Amerika
Ziegel und mit sonstigen einfachen Arbeiten beschäftigt werden. Sie dachte daher, die Mutter wolle heute eine besser bezahlte Arbeit ausführen, und lächelte verschlafen zu ihr hinauf. Der Bau war noch nicht hoch, kaum bis zum Erdgeschoß, gediehen, wenn auch schon die hohen Gerüststangen für den weiteren Bau, allerdings noch ohne Verbindungshölzer, zum blauen Himmel ragten. Oben umging die Mutter geschickt die Maurer, die Ziegel auf Ziegel legten und sie unbegreiflicherweise nicht zur Rede stellten, sie hielt sich vorsichtig mit zarter Hand an einem Holzverschlag, der als Geländer diente, und Therese staunte unten in ihrem Dusel diese Geschicklichkeit an und glaubte noch einen freundlichen Blick der Mutter erhalten zu haben. Nun kam aber die Mutter auf ihrem Gang zu einem kleinen Ziegelhaufen, vor dem das Geländer und wahrscheinlich auch der Weg aufhörte, aber sie hielt sich nicht daran, ging auf den Ziegelhaufen los, ihre Geschicklichkeit schien sie verlassen zu haben, sie stieß den Ziegelhaufen um und fiel über ihn hinweg in die Tiefe. Viele Ziegel rollten ihr nach und schließlich, eine ganze Weile später, löste sich irgendwo ein schweres Brett los und krachte auf sie nieder. Die letzte Erinnerung Thereses an ihre Mutter war, wie sie mit auseinandergestreckten Beinen dalag in dem karierten Rock, der noch aus Pommern stammte, wie jenes auf ihr liegende rohe Brett sie fast bedeckte, wie nun die Leute von allen Seiten zusammenliefen und wie oben vom Bau irgendein Mann zornig etwas hinunterrief.
Es war spät geworden, als Therese ihre Erzählung beendet hatte. Sie hatte ausführlich erzählt, wie es sonst nicht ihre Gewohnheit war, und gerade bei gleichgültigen Stellen, wie bei der Beschreibung der Gerüststangen, die jede für sich allein in den Himmel ragten, hatte sie mit Tränen in den Augen innehalten müssen. Sie wußte jede Kleinigkeit, die damals vorgefallen war, jetzt, nach zehn Jahren, ganz genau, und weil der Anblick ihrer Mutter oben im halbfertigen Erdgeschoß das letzte Andenken an das Leben der Mutter war und sie es ihrem Freunde gar nicht deutlich genug überantworten konnte, wollte sie nach dem Schlusse ihrer Erzählung noch einmal darauf zurückkommen, stockte aber, legte das Gesicht in die Hände und sagte kein Wort mehr.
Es gab aber auch lustigere Zeiten in Theresens Zimmer. Gleich bei seinem ersten Besuch hatte Karl dort ein Lehrbuch der kaufmännischen Korrespondenz liegen gesehen und auf seine Bitten geborgt erhalten. Es wurde gleichzeitig besprochen, daß Karl die im Buch enthaltenen Aufgaben machen und Therese, die das Buch, soweit es für ihre kleinen Arbeiten nötig war, schon durchstudiert hatte, zur Durchsicht vorlegen solle. Nun lag Karl ganze Nächte lang, Watte in den Ohren, unten auf seinem Bett im Schlafsaal, der Abwechslung halber in allen möglichen Lagen, las im Buch und kritzelte die Aufgaben in ein Heftchen, mit einer Füllfeder, die ihm die Oberköchin zur Belohnung dafür geschenkt hatte, daß er für sie ein großes Inventarverzeichnis sehr praktisch angelegt und rein ausgeführt hatte. Es gelang ihm, die meisten Störungen der anderen Jungen dadurch zum Guten zu wenden, daß er sich von ihnen immer kleine Ratschläge in der englischen Sprache geben ließ, bis sie dessen müde wurden und ihn in Ruhe ließen. Oft staunte er, wie die anderen mit ihrer gegenwärtigen Lage ganz ausgesöhnt waren, ihren provisorischen Charakter – ältere als zwanzigjährige Liftjungen wurden nicht geduldet – gar nicht fühlten, die Notwendigkeit einer Entscheidung über ihren künftigen Beruf nicht einsahen und trotz Karls Beispiel nichts anderes lasen als höchstens Detektivgeschichten, die in schmutzigen Fetzen von Bett zu Bett gereicht wurden.
Bei den Zusammenkünften korrigierte nun Therese mit übergroßer Umständlichkeit; es ergaben sich strittige Ansichten, Karl führte als Zeugen seinen großen New Yorker Professor an, aber der galt bei Therese ebenso wenig wie die grammatikalischen Meinungen der Liftjungen. Sie nahm ihm die Füllfeder aus der Hand und strich die Stelle, von deren Fehlerhaftigkeit sie überzeugt war, durch, Karl aber strich in solchen Zweifelfällen, obwohl im allgemeinen keine höhere Autorität als Therese die Sache zu Gesicht bekommen sollte, aus Genauigkeit die Striche Theresens wieder durch. Manchmal allerdings kam die Oberköchin und entschied dann immer zu Theresens Gunsten, was noch nicht beweisend war, denn Therese war ihre Sekretärin.
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