Svantevit - historischer Roman (German Edition)
Der Sturm
Die ganze Nacht wütete der Sturm mit einer unglaublichen Heftigkeit. Als wolle er die Gottgefälligkeit ihres Unternehmens, ja gar die Macht des Allmächtigen in Zweifel ziehen, so toste und brüllte er um sie herum, wollte sie vertreiben aus diesem ohnehin lebensfeindlichen Land der Moore, Sümpfe und undurchdringlichen Wälder, in dem kein Platz für Menschen schien.
Als hätte sich der Gott des Meeres in die Lüfte erhoben, so rollte der Orkan in immer heftiger werdenden Wellen gegen sie an, ebbte ab und tobte danach umso stärker. Doch da sie keine Zweifel daran hatten, dass das Vorhaben, das sie in diesen Landstrich führte, dem Schöpfer zu dienen bestimmt war, verschaffte sich unter den Männern bald die Gewissheit Bahn, dass hier der Antichrist tobte.
So manches Kreuz wurde in dieser Nacht geschlagen, so manches Gebet gemurmelt, von den Männern, die sonst nichts fürchteten auf dieser Welt, nicht einmal den Tod. Aber die sie jetzt heimsuchenden Gewalten, die mit einer ungeheuerlichen Wucht über sie hereinbrachen, waren scheinbar nicht von dieser Welt und so einige der bekehrten Heiden, die mitzogen auf diesem Kreuzzug, mochten in dieser Nacht bereuen, sich einem neuen Gott unterworfen und die mächtigen Götter ihrer Ahnen damit verleugnet zu haben.
Recht früh war bemerkt worden, dass ein Unwetter heranziehen würde. Schon kurz nach der Mittagssonne des vorigen Tages hatte man es wahrgenommen, dass sich da eine beunruhigende Dunkelheit zusammenbraute, weit im Westen. Auch war der Wind merklich kühler geworden und hatte an Stärke zugenommen im Verlauf des Nachmittages – und die Luft schmeckte deutlich nach Meer, was nichts Gutes verhieß, so weit von der Küste entfernt.
Es war noch hell, man hätte noch einige Stunden weiterziehen können und hätte es wohl auch getan, wenn nicht einige der älteren Dienstleute, erfahrene Männer, die schon so manchen Waffengang mitgemacht und viele Unwetter im Felde erlebt und vor allem überlebt hatten, sich durchgesetzt hätten mit ihren Bedenken und instinktiven Befürchtungen.
So befahl Heinrich ungewöhnlich früh, das Nachtlager zu errichten und alles ordentlich zu befestigen. Die rauen Kerle empfanden diese Vorsicht und das Zaudern durchweg als übertrieben, fast schon beschämend und wurden doch überrascht durch die Plötzlichkeit des Beginns und die Wildheit des Unwetters.
Von Westen her waren sie über eine grasbewachsene Ebene zu einer leichten Anhöhe gekommen, deren Größe ausreichend und deren Lage geeignet erschienen, um den wichtigsten herzoglichen Truppen als Nachtlager zu dienen.
Unmittelbar hinter dem Hügel begann ein regelrechter Urwald aus riesigen Eichen, düsteren Linden und silberschimmernden Buchen, der durch einen Weg geteilt wurde, den sicherlich irgendwelche einheimischen Bauern angelegt hatten und den Kaufleute und Händler nutzten und so vor dem Zuwuchern bewahrten. Der Weg erschien im Vergleich zu manchen Straßen im Reich fast komfortabel breit, selbst für größere Fuhrwerke und Gespanne.
Morgen allerdings würde eine fast zweitausendköpfige berittene Armee mit Hilfsmannschaften und Versorgungstross dieses Nadelöhr passieren müssen, denn der Wald war von einer Ausdehnung und Dichte, dass er weder zu umgehen noch zu durchdringen war. Außerdem war abseits des Weges mit morastigem Untergrund zu rechnen. Da man sich schon weit im Stammesgebiet der Ranen befand, denen dieses kriegerische Unternehmen galt, war an solch einer Stelle im Gelände durchaus mit einem Hinterhalt oder gar offenen Überfall zu rechnen.
Bisher waren die Truppen Heinrichs völlig unbehelligt und ohne die geringste Gegenwehr, ja ohne den Feind selbst aus größerer Entfernung überhaupt zu Gesicht zu bekommen, bis hierher vorgestoßen. Durch mehrere Dörfer waren sie gezogen und hatten keine Menschenseele vorgefunden – alle waren geflohen.
Einmal hatten sie gegen Mittag nördlich ihrer Route Rauch wahrgenommen, so steil und gleichmäßig aufsteigend, wie ihn kein wilder Brand, sondern nur eine menschliche Feuerstelle erzeugt, und ein Trupp Berittener machte sich zügig, aber doch vorsichtig, auf den Weg, um endlich der ersten Heiden habhaft zu werden – tot oder lebendig.
Selbst der Bischof von Schwerin geriet in eine fast hektische Unternehmungslust und ritt mit seinem Gefolge hinterdrein. So sicher schien die lang erwartete Gelegenheit, ein paar Ungläubige zu bekehren und, natürlich im Schutze der eigenen
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