Amnion 3: Ein dunkler, hungriger Gott erwacht
weitere Aspiranten; er mochte die Tatsache, daß er schon entschieden hatte, wen er nicht mehr an Bord dulden wollte, nicht allzu offenkundig werden lassen.
Wie jemand, der gerade eine gute Idee hatte, kehrte er sich Vector zu.
Der Bordtechniker erwiderte Nicks Aufmerksamkeit festen Blicks. Vector hätte dafür dankbar sein müssen, noch am Leben zu sein; es hätte ihm angestanden, eifrig die Wiedergutmachung seiner Vergehen anzustreben. Aber er wirkte überhaupt kein bißchen dankbar; und ebensowenig beunruhigt. Sein Lächeln war gelassen und unpersönlich, als hätte sich seine Neigung erschöpft, sich mit Sorgen um sein Schicksal zu plagen.
»Das war pfiffig, Nick.« Seine Stimme klang so friedfertig und unbedrohlich, wie er aussah. »Jetzt bin nur noch ich übrig.«
Weil Nicks Hand seinen Tic verbarg, nahm er sich ein Schmunzeln heraus. »Für dich und Lumpi«, äußerte er, »hab ich auch ’n Auftrag.«
Verhalten lachte Vector. »Das ist aber ’ne Überraschung.«
Nick scherte es nicht, wie weit Vector die Wahrheit ahnte. Solange Mikka dachte, Lumpi diente Nick als Geisel, würde sie ihm keinen Schaden zufügen. Und ohne Mikka – ohne ihre Unterstützung, ihre Entschlossenheit und Erfahrung – war Vector ein Niemand.
»Die Sache hat maßgebliche Bedeutung«, sagte Nick durch die Hand. »Du bist der Bordtechniker, deshalb mußt du sie abwickeln. Ich möchte, daß du alle für die Reparatur des Ponton-Antriebs erforderlichen Spezifikationen dokumentierst und damit beim Technischen Direktor der Werft vorsprichst. Überzeuge dich davon, daß er alle Ersatzteile hat, die wir für ’ne Reparatur brauchen. Wahrscheinlich mag er ohne Einverständnis des Kassierers nicht mit dir reden. Es liegt bei dir, ihm klarzumachen, daß der Segen des Kassierers so gut wie sicher ist. Erzähl ihm, man könnte schon von der offiziellen Genehmigung ausgehen, daß ich beim Kassierer bin und mich mit ihm bloß noch über ein paar Einzelheiten einigen muß. Sag ihm, die endgültige Order« – Nick schaute aus einer gänzlich anderen Veranlassung aufs Chronometer – »trifft in ungefähr vier Stunden ein, aber dann mit höchster Priorität. Daß der Kassierer ihm, wenn er unseren Antrieb dann nicht ganz schnell repariert, den Arsch weiter als ’n Meteorkrater aufreißt. Falls ihm Teile fehlen, soll er zusehen, daß er durch Ausschlachten an sie kommt. Wenn’s sein muß, sei ihm behilflich.«
Nick starrte Vector in die Augen, als erwartete er eine Weigerung; wartete auf seine Antwort.
Vector lächelte unentwegt, so wie ein Mann, der längst den einzigen Entschluß gefaßt hatte, der zählte, und nichts mehr zu sagen hatte.
»Wieso muß ich mit?« erkundigte sich Lumpi mit einem Anklang der Aufsässigkeit, die man von Mikka kannte. »Ich bin viel zu jung, um irgendwen zu überzeugen.«
Nur um ein wenig Spannung abzulassen, lachte Lind auf; sein Prusten ähnelte dem Knistern von Statik.
»Spar dir das Reden, Ciro«, meinte Vector. Ciro war Lumpis wirklicher Name. Vector sprach im gleichen Tonfall, in dem er sonst Lumpi Kaffee anbot. »Hier geht’s gar nicht um das, was uns weisgemacht werden soll. Ich will, daß du mitkommst, wenn ich von Bord gehe.«
Pastille gab einen miesen Seitenhieb von sich, die alle übrigen Crewmitglieder auf der Brücke überhörten.
Zuckungen rissen an Nicks Wange wie unregelmäßige Herzschläge; doch er grinste immerzu weiter, weil er nicht anders konnte.
Als er die Käptens Liebchen verließ, um zwecks nochmaliger Unterredung den Kassierer aufzusuchen, waren die Personen, denen er nicht mehr trauen durfte, schon von Bord gegangen. Mikka und Vector – vielleicht sogar Sib – hätten Liete Verdruß verursachen können; mit allen anderen hingegen hatte sie bestimmt keine Schwierigkeiten.
Und er war sich dessen sicher, daß sie den Befehlen gehorchte, die er ihr erteilt hatte.
Er kam kaum ein, zwei Minuten zu spät, als vor dem Panzergewölbe des Kassierers stand und zu ihm vorgelassen zu werden verlangte.
DAVIES
Davies Hyland schritt die Zelle ab, als vermäße er ein Grab. Sechs Schritte lang, fünf Schritte breit. Raum für eine Kloschüssel und eine Pritsche; Platz für Liegestützen; für mehr nicht. Mauern und Einsamkeit blieben seine einzige Gesellschaft.
Manchmal hätte er am liebsten herumgebrüllt. Bisweilen war ihm zum Schluchzen zumute. Ab und zu fragte er sich, ob er überhaupt bei Verstand sein konnte. Weder bereitete die Natur Menschen darauf vor, derartige
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