Amnion 3: Ein dunkler, hungriger Gott erwacht
Belastungen zu verkraften, noch wurden sie durch die Gesellschaft entsprechend geschult.
Bei ihm paßten Geist und Körper grundsätzlich nicht zusammen. Er war ein Mann, doch konnte sich nicht daran erinnern, je etwas anderes als eine Frau gewesen zu sein.
Und er war Gefangener; ein Bauer in einem Konflikt, auf den er keinerlei Einflußmöglichkeit hatte; einer Auseinandersetzung, die er kaum durchschaute, weil dort in seinem Kopf, wo entscheidende Erinnerungen hätten sitzen müssen, nur ein Schwarzes Loch zu sein schien. Soviel er wußte, hegte niemand an seiner Existenz Interesse außer seiner Mutter, die vermutlich ein schlimmeres Los als ihn getroffen hatte, und den Amnion, die ihn in ihresgleichen zu verwandeln beabsichtigten.
Ohne Frage: eigentlich müßte er in tollwütige Raserei verfallen oder sich in eine autistische Gemütsverfassung zurückziehen.
Aber keines von beidem geschah.
Trotz aller Gewalt, all der Zumutungen, denen er sich ausgesetzt sah, platzte er schier vor Lebensdrang, Überlebenswillen; hatte er alle Bereitschaft, ums Leben zu kämpfen. Inmitten der Isolation war er bei aller Furcht mit jedem Pulsschlag und jedem Quentchen seiner Kräfte auf Konfrontation eingestellt.
Aufgrund des Schwarzen Lochs seiner Gedächtnislücken konnte er nicht ahnen, was für eine sonderbare, fruchtbare Interaktion zwischen der Biochemie seines Vaters und dem Gebrauch des Z-Implantats seiner Mutter stattgefunden hatte. Ihm blieb die Vorstellung, im Mutterleib auf die Bewältigung seines jetzigen, scheinbar unauflöslichen Dilemmas konditioniert worden zu sein, völlig fern.
Von Angus Thermopyle war seinem Sohn ein genetisches Erbe der Hartnäckigkeit und Verstocktheit mitgegeben worden, die eingefleischte, grimmige, unerschütterlich entschlossene Ablehnung dagegen, sich unterkriegen zu lassen; und Morn Hyland hatte Monate damit zugebracht, sich zu sexuellen, psychischen und physischen Extremen zu steigern, die sie ohne den artifiziellen Rückhalt und die unerbittliche Kontrolle ihres Zonenimplantats nie zu verkraften vermocht hätte. Ihr Sohn war schon als Fötus gewissermaßen gegen Streß abgehärtet worden. Jede Zelle seines kleinen Embryokörpers hatte sich frühzeitig an krasseste Stufen der Stimulation gewöhnt die bei jedem anderen Lebewesen zum Herzstillstand geführt hätten. Im Effekt besehen war er Adrenalinsüchtiger; und die Adrenalinsucht hielt ihn aufrecht, wenn er hätte zusammenklappen müssen.
Infolgedessen tigerte er eher wie ein eingesperrtes Raubtier als wie ein sechzehnjähriger Bursche in seiner Zelle auf und ab. Ohne auf die offen ersichtlichen Überwachungsgeräte und den unpersönlichen Beton zu achten, stapfte er unablässig von Wand zu Wand, bewegte die ihm fremdartigen Muskeln, drillte seinen Geist darauf, sich mit ihnen abzufinden. Noch war er längst nicht so stämmig-vierschrötig wie sein Vater, aber er verfügte schon über dessen wuchtig-rohe Körperkräfte. Er erprobte sie durch Liegestützen und Aufsetzübungen, Handstand und Springen. Die gymnastischen Praktiken sowie die Nahkampftechniken, die seine Mutter an der Polizeiakademie gelernt hatte, trainierte er mit einer Hingabe und Beharrlichkeit, bis Schweiß seine Alien-Bordmontur tränkte, seine Hände von sich aus wußten, wie man die Abwehrblockaden und Fauststöße einsetzte. Dann fing er mit dem Hin- und Herstapfen von vorn an.
Zur gleichen Zeit durchforschte er sein Gedächtnis mit einem Starrsinn, den er von beiden Elternteilen geerbt hatte; bemühte er sich ums Erinnern; versuchte er mit purer Verstandeskraft die Lücken zwischen dem, was er wußte, und dem, was er begriff, zu schließen.
Er hatte dem Kassierer mitgeteilt, daß Morn Hyland und Nick Succorso gemeinsam für die VMKP arbeiteten. Jetzt hielt der Kassierer ihn fest, statt ihn Nick oder den Amnion zu übergeben. Bestand dazwischen ein Zusammenhang? Glaubte der Kassierer, ihre Aktivitäten seien gegen ihn gerichtet? Oder hatte er davor Furcht, sich in Anbetracht der mutmaßlichen Pläne Morns und Nicks gegen die Amnion auf die Seite der beiden zu stellen? Wenn er ausschließlich an sich dachte, wie würde er vorgehen, um seine Sicherheit zu gewährleisten? Aus der Kollaboration mit den Amnion Vorteile zu ziehen, war eines; aber eine Infektion mit ihren Mutagenen zu riskieren, etwas gänzlich anderes.
Davies unterstellte, daß der Kassierer nicht die geringste Lust hatte, in einen Amnioni verwandelt zu werden. Den Amnion Gefangene zu
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