Amnion 5: Heute sterben alle Götter
allesamt nach Schweiß mieften.
Auf den ersten Blick bekam Koina den Eindruck, als wäre ihr kein Platz reserviert worden. Trotz der durch Len getroffenen Beschränkungen hatten sich schon mehr Personen in den Saal gezwängt, als seine Größe und Beschaffenheit zuließen. Da jedoch erspähte sie in einer Ecke nahe der Empore, auf der sonst Konzilsdelegierte saßen und mit Medienberichterstattern palaverten, drei freie Sitze. Ein Terminal war dort nicht installiert, aber sie hatte daran ohnehin keinen Bedarf. Sie hatte zwei Kommunikationstechnikerinnen mit, einen für ihre persönliche Verbindung zum Orbit, einen für die ständige Informierung des VMKP-HQ über die Vorgänge in der Krisensitzung. Vize-Sicherheitschef Ing und seine Gorillas konnten an der Wand stehen.
Unerfreulicherweise befanden sich die drei Sitze direkt neben den Plätzen des Geschäftsführenden Obermanagementdirektors Cleatus Fane und seiner Untergebenen. Offenbar war irgend jemand – Abrim Len oder eventuell Fane – der Meinung, es sei für VMK und VMKP an Zeit, Gemeinsamkeit zu demonstrieren. Der GOD des Drachen hatte ebenfalls kein Terminal verfügbar und brauchte ebensowenig eines wie Koina: Genau wie sie hatte er als Begleiter ausschließlich Kommunikationspersonal dabei, beladen mit elektronischer Ausrüstung: Spezialrelais, Chiffrierkoffern und Funkgeräten. Fane selbst hatte in einem Ohr einen Ohrhörer stecken und neben dem Adamsapfel ein Kehlkopfmikrofon hängen. Vielleicht verfolgte er die Mitteilungen aus dem Orbit oder erhielt Instruktionen aus der VMKP-GD; was stimmte, konnte Koina nicht wissen.
Insgeheim war sie noch völlig fassungslos infolge der letzten Nachricht aus der Stationszentrale – der Information, daß Warden Dios zu dem Amnion-Kriegsschiff übersetzte. Und die Vorstellung, neben Fane Platz nehmen zu müssen, verursachte ihr Gänsehaut. Er war ihr gefährlichster Gegenspieler; ein ernsthafterer Gegner als Maxim Igensard. Um den Moment hinauszuschieben, von dem an sie seine Gegenwart ertragen mußte, verharrte sie am Eingang, um sich einen Überblick des Saals zu verschaffen.
Weil sie ein freundliches Gesicht sehen wollte, schaute sie sich als erstes nach Kapitän Vertigus um, dem Deputierten des Vereinten Westlichen Blocks. Doch er schien nicht anwesend zu sein. Sigune Carsin, seine Vertreterin, saß zwischen Vest Martingale, dem Delegierten der KombiMontan-Station, und Sen Abdullah, dem Repräsentanten der Ostunion, und schob vor sich einen Computerausdruck hin und her. In harmloserem Umfang waren auch sie Koinas Opponenten. Sigune Carsin betätigte sich anscheinend aus dem gleichen Grund als Gegnerin der VMKP, aus dem Sixten Vertigus Mißtrauen gegen Holt Fasner hegte. Vest Martingale war für die Ernennung Maxim Igensards zum Sonderbevollmächtigten verantwortlich, der den Fall Angus Thermopyle untersuchen sollte; ihre Bemühungen, das Ansehen der VMKP anzukratzen, hingen mit dem Interesse ihres Auftraggebers zusammen, die eigene Reputation zu wahren. Und Sen Abdullah, ein hagerer Fanatiker mit der Miene eines Falken, erweckte den Eindruck, als ob er aus religiösem Eifer oder ähnlich gelagerten Vorurteilen eine Privatfehde gegen Warden Dios austrug. Gerüchten zufolge waren einige Leute seiner Klientel, als vor Jahren Dios Beihilfe zur Vereinnahmung der Forschungs- und Erschließungsgesellschaft Sagittarius AG durch Holt Fasner geleistet hatte, um Unsummen gebracht worden.
Aber da bemerkte Koina Kapitän Vertigus doch. Sie hatte ihn übersehen, weil der Sonderbevollmächtigte ihn verdeckte. Zwar saß Maxim Igensard vor Vertigus, doch er hatte sich, wie es für sein öffentliches Auftreten typisch war, zu einer so verkrampft-kriecherischen Pose der Ehrerbietigkeit niedergeduckt, daß normalerweise niemand hinter ihm hätte verschwinden können. Allerdings war Sixten Vertigus in seinem Sitz bis an die Grenze der Unsichtbarkeit zusammengesunken. Der Mund stand ihm offen, die Lider waren geschlossen: Eindeutig schlief er.
Versonnen hob Koina die Schultern und schaute sich weiter im Saal um.
Sie war erst seit kurzer Zeit RÖA-Direktorin der VMKP, kannte jedoch Namen und Reputation sämtlicher Konzilsdelegierten. Zu den wenigen Parlamentariern, die, wie sie glaubte, trotz der allgemeinen Panikstimmung zu klugen Entscheidungen fähig blieben, zählte Punjat Silat, der Deputierte der Allianz Asiatischer Inseln und Halbinseln. Ein zweiter solcher Fall war Blaine Manse, die Delegierte von Beteigeuze Primus. Ihr
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