Stadt, Land, Kuss
Blutiger Einstand
Zwischen Starbucks und dem Copper Kettle liegen Welten. Die blau-gelb karierten Vorhänge und die dazu passenden Tischtücher und Zierdeckchen verleihen dem Café einen ziemlichen Retro-Look. Hier gibt es keinen Latte oder Cappuccino – Kaffee wird entweder mit Milch serviert oder ohne. Auch die Gäste mit ihren lila Dauerwellen, den geblümten Polyesterkleidern und ihren Regenmänteln sehen reichlich trist aus, und das einzige Summen in diesem Laden kommt von einer Wespe, die ein paar Monate zu früh aus dem Winterschlaf erwacht ist und jetzt müde auf unserem Tisch herumkrabbelt.
»Na, was sagst du, Maz?« Emma, meine beste Freundin, sitzt mir gegenüber, vor Scones mit Clotted Cream und Marmelade sowie einem Stück Früchtekuchen mit Marzipanüberzug, weil sie sich zwischen beiden nicht entscheiden konnte. Sonnenstrahlen fallen durchs Fenster herein und unterstreichen die dunklen Ringe unter ihren Augen.
»Ich finde, du siehst überarbeitet aus«, antworte ich.
»Als ich heute Morgen in den Spiegel geguckt habe, kam mir tatsächlich kurz der Gedanke, mir eine Lidstraffung zu gönnen«, sagt Emma. »Ich schaue aus wie ein alter Spaniel.«
»Du übertreibst«, erwidere ich lächelnd. Emma hat wunderschöne Wangenknochen, von Natur aus lange Wimpern und Lippen, die kaum betont zu werden brauchen. »Das Letzte, was dir fehlt, ist eine Schönheits-OP.«
»Du hast recht. Es würde schon helfen, wenn ich einfach mal wieder eine Nacht durchschlafen könnte.«
Sie schenkt uns zwei Tassen Tee aus einer Kanne ein, die in einem aus unterschiedlichen Wollresten zusammengestrickten Teewärmer steckt. »So. Wo war ich stehen geblieben?«
»Du brauchst einen Vertreter für die Praxis, während du weg bist.« Ich freue mich, dass sie sich endlich entschlossen hat, eine Auszeit zu nehmen – niemand kann behaupten, dass sie es nicht verdient hätte. Ich nehme ein Messer, schneide meinen Scone in der Mitte durch und häufe eine großzügige Portion Erdbeermarmelade darauf – richtige Marmelade mit Kernchen darin.
»Hier in Devon gehört die Sahne unter die Marmelade«, zischt Emma. »Wenn dich jemand sieht, jagen sie dich aus der Stadt.«
»Ach komm schon«, gebe ich zurück. »Du machst Witze, oder?«
»Wir haben hier in Talyton St. George nun mal unsere festen Gewohnheiten.« In ihren Wangen bilden sich Grübchen, und ihre Augen funkeln belustigt, während draußen ein Traktor vorbeirumpelt und die Teetassen klirren lässt. Ganz recht, ein echter Traktor, nicht die Chelsea-Variante, die ich gewohnt bin.
Ich wische mein Messer sauber und gebe stattdessen eine kleine Portion Sahne auf meinen Scone. Entschlossen füge ich noch einen zweiten, etwas großzügigeren Klecks hinzu.
»Hast du dich schon mit ein paar Agenturen in Verbindung gesetzt?«
»Natürlich nicht. Ich will, dass du das übernimmst.« Emma schaut mich durch den Pony ihres brünetten Bubikopfs an. Er ist zu lang geworden und sieht mittlerweile aus wie bei einem alten Bobtail. »Du sollst dich für mich ums Otter House kümmern«, fährt sie fort, während ich krampfhaft nach Atem ringe, nachdem ich mich an meinem Scone verschluckt habe.
Verstehen Sie mich nicht falsch – ich bin gern bereit, Emma zu helfen, aber muss es unbedingt in diesem verschlafenen Nest sein, wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen? Hätte sie ihre Praxis nicht ein winziges bisschen näher bei London eröffnen können?
»Schon gut, ich weiß, dass wir in manchen Punkten unterschiedlicher Meinung sind …« Sie sucht angestrengt nach einem Beispiel. »Darüber, wie man das Wort ›Scone‹ ausspricht etwa. Aber in unserer Arbeitsauffassung sind wir einander sehr ähnlich, und das wäre für meine Mitarbeiter und Kunden sehr angenehm.«
»Ich hatte noch nie die alleinige Verantwortung für eine Praxis«, entgegne ich zweifelnd. Die Vorstellung, mich von Streitigkeiten unter den Angestellten bis hin zu den Finanzen um alles selbst kümmern zu müssen, ist beängstigend. Ich bin gerne Tierärztin, einfach nur Tierärztin.
»Wenn ich das schaffe, dann kannst du das auch, Maz.«
»Ich habe kaum Erfahrung mit der geschäftlichen Seite des Berufs.«
»Das habe ich auch schon geklärt. Nigel, der sich um unsere Praxiscomputer kümmert, würde die Geschäftsführung und die Buchhaltung übernehmen. Damit hättest du also gar nichts zu tun.«
»Ich weiß nicht …«
»Aber außer dir gibt es niemanden, dem ich die Praxis anvertrauen würde.« Mir fällt auf, wie
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