Amnion 5: Heute sterben alle Götter
jemand seiner Experten verspürt Todessehnsucht und steckt voller Sprengstoff.«
Koina nickte ein zweites Mal. Cleatus Fane stak ohne Zweifel voller Sprengstoff – allerdings eher sinnbildlich. Dagegen war sie der Überzeugung, daß er keine Neigung zum Freitod hatte. Soviel Treue pflanzte der Drache niemandem ins Herz. Wenn Hashi Lebwohl recht hatte, war es nicht der Zweck der Kaze-Anschläge gewesen, das EKRK auseinanderzubomben; der Sinn sollte vielmehr sein, Fasners Verfügungsgewalt über die VMKP zu festigen.
Begleitet vom Vize-Sicherheitschef, strebte sie durch die Versammlung auf den ihr vorbehaltenen Sitz zu. Sobald ihre Kommunikationstechnikerinnen sich niedergelassen und Forrest Ing sich hinter ihr an der Wand postiert hatte, setzte sie sich.
Unterdessen begrüßte Cleatus Fane sie mit eisenhartem Lächeln. Normalerweise strahlte er das Wohlwollen eines Weihnachtsmanns aus: Dafür hatte er ein Talent. Heute jedoch ließ er jedes gütige Gehabe vermissen. Seine Augen glitzerten wölfisch; und sein Bart wirkte so stachlig, als wäre er aus Draht geflochten.
»Direktorin Hannish…« Er neigte knapp den Kopf. »Wie Sie wünschten, bin ich da.« Forrest Ing hatte ihn in ihrem Auftrag dazu überredet. »Ich muß sagen, ich bin gespannt darauf, weshalb sie eine solche Benachrichtigung für nötig gehalten haben. Oder angebracht. Vielleicht finden wir nachher eine Möglichkeit, um darüber zu sprechen. In der letzten Sitzung haben Sie Ihre Rolle gut gespielt.«
Sein Tonfall vermittelte eine Bedrohlichkeit, die mit Forrest Ings Argwohn korrespondierte. »Dieses Mal ›spielen‹ wir aber nicht. Hoffentlich ist das Ihnen klar. Ihr Chef, Warden Dios, weigert sich seit Beginn der Krise, sich mit dem GD zu verständigen. Ob Sie’s wissen oder nicht, er hat sie allein auf ’m Ast sitzen lassen. Wenn es sein muß, säge ich Ihnen den Ast ab.« Trotz allem blieb er ruhig. »Wenn’s sein muß, säge ich den ganzen Baum um.«
Daraufhin lächelte Koina auf ihre Weise – mit äußerster Professionalität schnitt sie eine makellos glatte, ausdruckslose, nichtssagende Miene. »Es ist sehr nett von Ihnen, mich vorzuwarnen.« Sie antwortete mit gedämpfter Stimme. »Darf ich Ihnen eine Frage stellen?«
Fane fletschte die Zähne. »Natürlich.«
»Ich bin nur neugierig. Wie alt sind Sie?«
Er schloß den Mund. Seine Augen weiteten sich leicht, als hätte sie eine versteckte Beleidigung von sich gegeben. »Was hat denn das mit alledem zu tun?«
Koina lächelte breiter. »Gar nichts. Wie erwähnt, ich frage bloß aus Neugier. Mir ging nur eben durch den Kopf, ob GD Fasner von seinen medizinischen Mitteln zur Langlebigkeit wohl auch ein bißchen für Sie abzweigt.«
Sie meinte: Was glauben Sie, wie lange er Sie am Leben hält? Wieviel sind Sie ihm nach Ihrer Einschätzung wirklich wert?
Anscheinend begriff der GOD sie durchaus. Er erwiderte ihren Blick, ohne zu zwinkern. »Zufällig bin ich bei außergewöhnlich guter Gesundheit, Direktorin Hannish.«
»Freut mich zu hören.« Hinter ihrer Maske der Professionalität vergnügte und erleichterte es sie insgeheim, daß sie sich trotz ihrer Furcht noch behaupten konnte. »Schließlich liegt ja gegenwärtig schon viel zuviel Tod in der Luft.«
Sie bezweifelte, daß er ihre Warnung beachtete. Aber sein böser Gesichtsausdruck verriet, daß er sie verstanden hatte.
Während Koinas Unterhaltung mit Cleatus Fane hatte Konzilsvorsitzender Len die Empore erstiegen und sein Amtszepter – das Hashi Lebwohl immer als ›Keule‹ bezeichnete – in die Faust genommen. Jetzt klopfte er damit auf das Rednerpult.
»Ruhe bitte!« Er umklammerte das Zepter, als könnte es ihm nützlich sein, um Handgreiflichkeiten abzuwehren. »Hiermit eröffne ich die heutige Sonder- und Krisensitzung des Erd- und Kosmos-Regierungskonzils. Ich bitte um Ruhe.«
Die von Anspannung geprägten Gespräche zwischen den Parlamentariern und ihren Mitarbeitern verebbten nahezu unverzüglich. Beunruhigung durchschwang das Schweigen.
»Sie alle wissen, warum die Sitzung stattfindet.« Lens Stimme klang, als wäre er bis an den Rand der Erschöpfung ermüdet; als hemmten ihn Zögerlichkeit und Deprimiertheit. Seine Haltung hinter dem Pult wirkte sonderbar hinfällig. Weder Persönlichkeit noch Erfahrungsschatz prädestinierten ihn dafür, in Kriegszeiten die Leitung des Regierungskonzils auszuüben. »Sie haben sich anhand der Nachrichtenübermittlung aus dem VMKP-HQ über die Situation in Kenntnis
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