Amnion 5: Heute sterben alle Götter
beschränkte sein Handlungsvermögen. Die Forderung der Amnion drängte ihn auf einen Abgrund zu, und er wußte nicht, wie er ihn überqueren könnte. Ohne sich dessen bewußt zu sein, sich vom Fleck geregt zu haben, merkte er, daß er mit einem Mal vor Min Donner stand, als dürfte er von ihr den Hinweis erwarten, den er brauchte; das Stichwort, das ihn aus der Tatenlosigkeit befreite. Die Wahrheit… Doch sie beachtete ihn praktisch gar nicht. Obwohl sie anscheinend alles hörte, was rundum gesprochen wurde, konzentrierte sie sich wie ein Falke auf das Kehlkopfmikrofon an ihrem Hals und den Ohrhörer im Ohr.
Angus machte Anstalten, irgend etwas dazwischenzureden; aber Morn bewog ihn mit einer schroffen Geste zu schweigen. Auch sie befand sich in einer Zwangslage, die sich zwar vom Malheur ihres Sohns unterschied, weniger verzwickt war sie deswegen allerdings nicht.
»Und Sie, Polizeipräsident Dios?« fragte Morn in beklommenem Ton. »Was wollen Sie?«
Die Brücken-Lautsprecher knisterten. »Sie haben mehr als einmal darauf verwiesen, daß Sie sich nicht mehr dazu verpflichtet fühlen, meine Befehle zu befolgen.« Warden Dios sprach langsam und deutlich, als müßte er insgeheim eine überwältigende Not unterdrücken. »Andernfalls würde ich Ihnen befehlen zu gehorchen. Da es sich nicht so verhält, versuche ich Sie zu überzeugen.« Selbstüberwindung verlieh seiner Stimme einen herben Klang. »Wenn Sie sich nicht überreden lassen, muß ich Direktorin Donner die Anordnung geben, Ihnen das Kommando über die Rächer zu entziehen und Sie zum Gehorsam zu zwingen.«
Danach nahm seine Stimme wieder einen umgänglicheren Tonfall an. »Ich habe nichts dagegen, für meine Fehler zu büßen, Morn. Daß mich die Konsequenzen jetzt einholen, habe ich, weiß Gott, verdient. Und Sie wissen wohl am besten, daß das stimmt. Inzwischen wissen Sie ja alles Erforderliche über Intertechs Antimutagen-Forschung. Wahrscheinlich haben Sie auch erfahren, daß Angus Thermopyle von uns in eine Falle gelockt wurde, um im EKRK die Verabschiedung des Autorisierungsgesetzes sicherzustellen. Und Sie können sich denken, daß wir Sie Nick Succorso überlassen haben, um die Gefahr zu vermeiden, daß Sie irgend jemand über Kapitän Thermopyles Unschuld informieren. Und die Verantwortung für das Eindringen der Stiller Horizont in den Human-Kosmos ist letzten Endes mir zuzumessen. Milos Taverner war von mir ausgewählt worden, um Thermopyle nach Kassafort zu begleiten.«
Warden Dios gab seine Verbrechen offiziell zu.
»Ich bin so gut wie tot, egal, was passiert. Wenn es zur Buße zählt, als Geisel herzuhalten oder Sie um Ihre Selbstaufopferung zu ersuchen, dann muß es eben sein. Aber ich kann nicht hinnehmen, daß Millionen schuldloser Menschen ums Leben kommen, nur weil ich bei der Ausübung meiner Pflicht versagt habe.«
Min Donner verhielt, drehte sich in Morns Richtung, um zu sehen, welche Wirkung Dios’ Aussagen auf sie hatten. Unter dunklen Brauen musterten Dolph Ubikwes Augen Morn mit durchdringendem Blick. Sogar Mikka hob den Kopf von den Anzeigen und Tasten der Waffensysteme; schaute Morn aus einer Miene stummer Ausgelaugtheit und ratlosen Verlangens an.
Angus fluchte halblaut vor sich hin. Ciro dagegen ließ sich durch nichts anmerken, daß er für etwas anderes als seine besonderen Geheimnisse Durchblick hätte; er saß mit angelehntem Kopf und halb geschlossenen Lidern auf dem Sitz, nuschelte kaum vernehmlich vor sich hin. Aber Vector hörte mit Schmerz in den Augen und einem Ausdruck des Grams um den Mund zu.
Die Amnion erachten Davies Hyland als ihr ›rechtmäßiges Eigentum‹.
Ich bin so gut wie tot, egal, was passiert. Davies’ Leben hing von einer Entscheidung ab, die er nicht treffen konnte.
Es hatte den Anschein, Morn kam nicht zu Bewußtsein, daß alle auf sie warteten. Noch stand sie völlig unter dem Eindruck von Dios’ Ansinnen. Ihre Augen waren feucht geworden. Eine steile Falte teilte ihre Stirn. Sie klammerte sich an die Armlehnen des Andrucksessels, als brauchte sie fürs Gleichgewicht ihren Halt.
Sie schwieg für einen ausgedehnten Moment, als ob sie bei sich auf die Stimmen ihrer Eltern lauschte. Dann beugte sie sich ans Mikrofon.
»Darüber müssen wir hier erst diskutieren, Polizeipräsident«, sagte sie mit vor unterdrückten Emotionen heiserer Stimme. »Ich kann diese Art von Entschlüssen auf keinen Fall einfach für andere Menschen fassen. Bleiben Sie auf dieser Frequenz. Wir geben Ihnen
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