Amnion 5: Heute sterben alle Götter
einen Amnioni verwandelt zu werden.«
Davies glaubte ihm. Allmählich fühlte er sich selbst zum Suizid imstande. Und trotz der störenden Statik klang die Stimme des Polizeipräsidenten vollauf überzeugungskräftig. Morn hatte einen Großteil ihres Lebens hindurch stillschweigend an Warden Dios’ Integrität geglaubt. Jetzt hatte Davies das Empfinden, schlichtweg nicht anzweifeln zu können, was Dios sagte.
Dadurch wurde sein persönlicher, innerer Konflikt allerdings um so unerträglicher. Alles stellte sich leichter dar, solange in ihm nichts als Zorn tobte.
Morn strich mit den Fingern durch ihr Haar, widerstand anscheinend dem Verführerischen ihrer Erinnerungen; zupfte an den Haaren, um sich die Erkenntnis, daß die VMKP korrupt war, frisch zu vergegenwärtigen.
»Warum haben Sie uns kontaktiert, Polizeipräsident Dios?« fragte sie. »Auf was wollen Sie hinaus? Ich habe ja schon erwähnt, daß ich mich nicht mehr als Polizistin betrachte. Ich unterstehe nicht mehr Ihrer Zuständigkeit. Wozu wir uns entschließen, hängt nicht davon ab, ob Sie eine Giftpille haben oder keine.«
»Das ist mir klar«, antwortete Dios augenblicklich. Der Druck der Umstände, in denen er sich an Bord der Stiller Horizont befand, drängte ihn wohl zum Vorantreiben des Gesprächs. »Aber ich möchte, daß Ihnen klar ist, mit wem Sie reden. Ich bin keine Marionette der Amnion, die Sie einfach unbeachtet lassen dürften. Ich bin Warden Dios und bemühe mich um Erfüllung meiner dienstlichen Pflicht.«
Dank einer dermaßen gewaltsamen Anstrengung der Willenskraft, daß sie ihr nahezu ein Zittern verursachte, beließ Min Donner ihre Aufmerksamkeit auf Ohrhörer- und Kehlkopfmikrofon-Kombination gerichtet; auf das Funktelefonat mit der VMKP-HQ-Stationszentrale.
Erfüllung meiner dienstlichen Pflicht, Willenlos nickte Davies. Rettung Suka Bators. Des VMKP-HQ. Mehrerer Millionen Menschenleben. Wie könnte irgend jemand dagegen sein? Wie dürfte er da zögern, sich zu opfern? Bildete er sich etwa ein, diese zahlreichen Menschenleben wögen seinen Opfergang nicht auf?
Morn jedoch war weniger leicht umzustimmen. »Es tut mir leid, Polizeipräsident Dios, aber leider verstehe ich nicht, was Sie meinen.« Vielleicht bewegte sie eigentlich die Frage: Welche Versprechen möchten Sie wahrmachen? »Weshalb sind Sie an Bord der Stiller Horizont gegangen? Wie gedenken Sie Ihre Dienstpflicht zu erfüllen, wenn Sie eine Geisel sind? Was veranlaßt Sie zu der Einschätzung, Verhandlungen mit den Amnion müßten uns nicht mehr kosten, als wir aufgeben können?«
Möglicherweise erbosten ihre Einwände Warden Dios. »Sie brauchen es nicht zu verstehen, Morn«, hielt er ihr mit unerwarteter Vehemenz entgegen. »Sie müssen nur daran denken, daß die Amnion Suka Bator, das VMKPHQ, Ihr Raumschiff und alles übrige zerstören, das in Reichweite ihrer Bordartillerie liegt, wenn Sie ihnen nicht geben, was sie verlangen. Und was danach von uns noch übrig ist, befindet sich im Krieg mit dem Bannkosmos. Offenem, totalem Krieg. Dann bricht ein ungeheuerliches Gemetzel an. Mein Gott, Morn…!« Seine Nachdrücklichkeit grenzte an Roheit. »Wir reden von derartigem Blutvergießen, daß es einen ganzen Planeten ersäufen könnte. Das müssen Sie berücksichtigen.«
Morn bedeckte das Grausen in ihrer Miene mit den Händen. »Malen Sie’s nicht noch schauerlicher aus, Polizeipräsident«, bat sie leise. »Verraten Sie uns, was es für uns heißt. Damit wir überlegen können, was wir unternehmen.«
»Also gut«, stimmte Dios ingrimmig zu. »Ich sag’s Ihnen unumwunden. Die Amnion erachten Davies Hyland als ihr ›rechtmäßiges Eigentum‹. Sie wünschen, daß er an Bord der Stiller Horizont gebracht wird. Darüber hinaus, als Entschädigung für die gegen Thanatos Minor verübte Aktion, fordern sie, daß ihnen Angus Thermopyle, Vector Shaheed und Sie ausgeliefert werden. Das heißt, sollten Sie vier nicht kommen und sich ihnen stellen, eröffnet die Defensiveinheit das Feuer.«
Seine Worte verdeutlichten Davies nochmals die eigene Notlage in voller Tragweite.
Die Stillere Horizont wollte ihn.
Auf unterschwellige Weise hatten sich die Voraussetzungen seiner Grundhaltung verschoben. Der hochfliegende Rausch anhänglicher Treue, den er empfunden hatte, sobald Warden Dios’ Stimme erklungen war, verklärte den Ernst seiner Lage. Unwillkürlich vergaß er die Vergehen des Polizeipräsidenten. Die Furcht jedoch blieb bestehen, zermarterte ihn und
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