Amnion 5: Heute sterben alle Götter
Holt Fasner die OA-Direktorin an. »Sie verweigern die Befolgung eines direkten Befehls von dem Mann, der die VMKP betreibt?«
»Sie haben, Sir«, bestätigte Min Donner auf noch immer leicht anmaßendverächtliche Weise. »Es ist belanglos, wer die VMKP ›betreibt‹. Ich erhalte meine Befehle von Polizeipräsident Dios. Wenn ich Ihre Weisungen ausführen soll, brauche ich von ihm eine entsprechende Anordnung.«
»Danke, Donner!« kollerte Fasner mit derartiger Vehemenz, daß akustische Verzerrungen seine Stimme entstellten. »Jetzt habe ich einen Grund zum Durchgreifen. Das ist Insubordination! Selbst in Friedenszeiten war’s ein Anlaß zu einem Disziplinarverfahren. Im Krieg ist es ein Schwerverbrechen. Min Donner, hiermit sind Sie als befehlshabende Direktorin der VMKP abgesetzt. Gleichzeitig sind Sie des Postens der Direktorin der Operativen Abteilung enthoben. Sobald unser Funktelefonat beendet ist, ernenne ich einen meiner Mitarbeiter zu Ihrem Nachfolger. Bis zum Ende der Krise dürfen Sie sich als unter Arrest befindlich betrachten.«
Er verfiel ins Brüllen. »Habe ich mich klar ausgedrückt?!«
Voller Fassungslosigkeit und Konsternation starrte Davies die Brücken-Lautsprecher an. Die plötzliche Vehemenz, mit der Fasner herumschrie, schuf in Davies’ Geist eine lichte Zone. Zum erstenmal seit vielleicht Stunden fühlte er sich wieder zum Denken imstande.
So dringend wollte der Drache die Leute von der Posaune!
Warum? In Gottes Namen, wofür!
Wenn Holt Fasner hatte, was die Amnion forderten, konnte er an Warden Dios’ Stelle mit ihnen in Verhandlungen treten. Das war eine Möglichkeit. Er erhielt die Gelegenheit zu einem Geschäft zu Bedingungen, bei deren Aushandlung ihn die spärlichen Reste von Dios’ Ehre nicht behinderten. Doch sobald Davies diesen Schluß gezogen hatte, drängten sich ihm weitere Schlußfolgerungen auf…
Min Donner ließ Fasner nicht auf Antwort warten. »Hinreichend klar, Sir«, versicherte sie dem GD. Kurz schweifte ihr Blick durch die Steuerbrücke. »Leider können Sie mich nicht des Postens entheben«, fügte sie danach mit merklichem Nachdruck hinzu. »Dazu haben Sie keinerlei Recht. Ich bin vom VMKP-Polizeipräsidenten zur Direktorin ernannt worden, und nur der VMKP-Polizeipräsident kann mich von meinem Posten ablösen lassen. Wenn Sie mich loswerden möchten, müssen Sie vorher Warden Dios absetzen. Aber ehe Sie das versuchen« – ihr Tonfall verschärfte, sich zu einer unüberhörbaren Warnung –, »muß ich Ihnen mit aller gebotenen Deutlichkeit erklären, daß ich während der jetzigen Gültigkeit des Kriegsrechts alle Anstalten, Warden Dios’ Absetzung vom Amt des Polizeipräsidenten oder ihn bei der Ausübung seiner Diensttätigkeit zu behelligen, als Wahnsinnstat ein’ stufe. Kraft meiner dienstlichen Zuständigkeit« – sie dehnte die Wörter, als wäre ihre Stimme ein Schälmesser – »und unter Berufung auf den als VMKP-OA-Direktorin geleisteten Eid ordne ich dem VMKP-HQ an, daß sämtliche Behauptungen, Warden Dios sei von seinem Posten entfernt worden, zu ignorieren sind. Kein Angehöriger der VMKP wird einen angeblichen Nachfolger anerkennen oder von ihm Anweisungen entgegennehmen, ehe wir diesbezügliche Instruktionen von Warden Dios persönlich erhalten.«
Energisch wandte die Direktorin sich an Cray. »Verbindung beenden, Funkoffizierin. Geben Sie der Stationszentrale durch, daß ich mit GD Fasner nichts mehr zu besprechen habe. Dann überzeugen Sie sich davon, daß seine Weisungen und meine Antwort ordnungsgemäß dokumentiert und gespeichert worden sind.«
Sofort kehrte sie Crays Andrucksessel wieder den Rücken zu. Versonnen schenkte sie den Anwesenden ein resolutes Lächeln.
»Ich weiß nicht, ob ich damit etwas erreicht habe.« Ihre Stimme klang vergnügt. »Nein zum Drachen zu sagen ist normalerweise das gleiche, als ob man den Kopf in ’n Verbrennungsofen steckt. Aber ich muß zugeben, ich habe mich dabei sauwohl gefühlt.«
Im ersten Moment schien ihre Verwegenheit die Brückencrew der Rächer völlig zu entgeistern. Dann klatschte dessen zum Zeichen des Beifalls in die Hände.
Kapitänhauptmann Ubikwe war der erste, der sich ihm anschloß, doch einen Augenblick später klatschten sämtliche diensthabenden Offiziere – Porson und Patrice voller Begeisterung, Bydell mit regelrechter Leidenschaft. Gerne hätte Davies auch applaudiert. Die VMKP mochte korrupt sein; aber diese Frauen und Männer waren ihre Pflicht zu erfüllen
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