Manner Lieben
Militärgebiet
Yusuf lockerte ein wenig den Gurt des Maschinengewehrs. Unter seinem Militäranzug floss ihm der Schweiß in Bächen am Körper hinab. Er stand seit dem frühen Morgen gemeinsam mit seinem Kameraden Ahmet Yildiz auf dem staubigen Weg, der das Naturschutzgebiet an der türkischen Ägäisküste vom militärischen Teil trennte.
Eine Haarnadelkurve führte die Touristen an den letzten Strand der wundervollen Landschaft. Wer die Kurve zu spät sah und geradeaus weiterfahren wollte, musste damit rechnen, in den Lauf eines Maschinengewehrs zu blicken, das die Soldaten zu diesem Zweck stets griffbereit in den Händen hielten. Es gab diese Situation immer wieder, und Yusuf war klar, dass er durchaus bedrohlich wirkte, ja, dass er bedrohlich war, wenn er Waffengewalt demonstrierte, die die Insassen des Autos meist zutiefst erschreckte.
Dann lächelte Yusuf, als könnten ein paar freundlich gezeigte Zähne etwas daran ändern, dass die Kinder schreckgeweitete Augen bekamen, wenn ein Fremder auf ihren am Steuer sitzenden Vater zielte.
Die Hitze war unerträglich, obwohl es noch früh am Mittag war. Yusuf spähte durch die dicht stehenden Kiefern am lang gezogenen Abhang vor ihnen hindurch, um einen Blick auf das türkisblaue Meer zu erhaschen. Dann rieb er sich mit der flachen Hand über die kurz geschorenen, dunklen Haare und ein Seufzen kam über seine trockenen Lippen. Ahmet taxierte ihn, dann folgte er Yusufs Blick.
„Vergiss das Meer", knurrte Ahmet und spuckte aus. Er rieb sich über den Mund, in seiner Stimme hatte deutlich leiser Spott mitgeklungen.
„Es ist gleich da vorne." Yusuf wusste, dass er viel zu sehnsüchtig klang.
„Hier ist unser Einsatzort, also ist es unerreichbar!", widersprach Ahmet streng.
Yusuf sah den Kameraden von der Seite an. Ahmet wirkte älter als er selbst, und auf eine gewisse Weise sogar hoffnungslos, fast so, als hätte das Leben für ihn keine Reize, keine Überraschungen, und schon gar kein Glück mehr zu bieten. In Wahrheit jedoch waren sie im gleichen Jahr geboren, wie Yusuf inzwischen wusste. Es musste an der Art liegen, wie Ahmet aufgewachsen war, dass er so wirkte. Yusuf seufzte erneut. „Macht es dir gar nichts aus, hier den ganzen Tag zu stehen? Was tun wir schon? Wir braten in der Sonne und verschrecken Menschen, die herkommen, um sich zu erholen." Erneut ein tadelnder Blick.
„Was interessiert es mich, dass die sich erholen wollen? Wer steht denn in voller Montur in der Sonne, die oder wir? Ein kleiner Schreck kann denen nicht schaden, und ich wette, sie vergessen ihn schnell, sobald sie sich in die Wellen stürzen ... Während mir weiterhin der Schweiß bis in die Socken läuft." Yusuf nickte vage, zumindest hatte Ahmet endlich zugegeben, dass auch ihm die Hitze zu schaffen machte. Schweigen breitete sich erneut zwischen ihnen aus, begleitet vom Zirpen der Grillen. Sie standen nun schon seit einer Woche jeden Tag von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang zusammen hier, bevor sie für die Nacht wieder in die Kaserne zurückkehrten. Bislang hatten sie jeweils nur ein paar Sätze miteinander gewechselt.
Schweigend stundenlang in der brütenden Hitze auf einem staubigen Weg stehen — der Himmel für einen Soldaten mit Pflichtgefühl. Yusuf schnaufte.
Ein blauer Schmetterling gaukelte plötzlich aus den Schatten der Kiefern heran und ließ sich auf dem Lauf von Yusufs Maschinengewehr nieder. Er klammerte sich mit seinen feinen Beinchen an das ungewohnte Metall.
Ahmet zog eine Augenbraue hoch als Yusuf zu ihm blickte. Er schulterte sein eigenes, schmetterlingsfreies Maschinengewehr
erneut, den Blick nun starr auf die Straße gerichtet, als erwarte er eine feindliche Kavallerie.
Yusuf biss sich kurz auf die Lippe, als er das inzwischen vertraute Profil Ahmets sah. Der Schmetterling war vergessen. Ein Gefühl regte sich in Yusuf, das nicht sein durfte. Verdammt, er wusste, dass dieses Gefühl sein ganzes Leben vernichten konnte, und dennoch ... Er beschwor sich selbst, sich zusammenzureißen und den Blick von Ahmets ebenmäßigen Zügen abzuwenden. Sein Puls ging so schnell, dass Yusuf den Lauf des Maschinengewehrs hochriss, als könne er den verräterischen Herzschlag so kaschieren.
Der Schmetterling flog aufgeschreckt davon, verschwand wieder zwischen den Kiefern und suchte sich vermutlich eine Blüte, die zweifelsohne besser zu ihm passte.
Alles auf der Welt hatte seinen Platz und seine Bestimmung. Yusuf hatte gelernt, dass seine Gefühle für
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