Amnion 5: Heute sterben alle Götter
Angus ebenfalls schnuppe sein. Es störte ihn nicht sonderlich. Nicht einmal Morns Ablehnung, sich den Amnion zu überlassen, zählte für ihn – abgesehen von der Tatsache, daß er ihm die abscheuliche Erniedrigung ersparte, durch den Interncomputer zu der Maßnahme gezwungen zu werden, sie gegen ihren Wunsch an Bord der Rächer zurückzuhalten; daß Warden Dios’ unabänderlich gültiges Gebot, Morns Leben zu schützen, seinen freien Willen abermals vergewaltigte.
Nichts von allem änderte irgend etwas an der grundsätzlichen Natur seines Schicksals. Morn hatte ihn von den Prioritätscodes befreit. Und nun brauchte sie seine Hilfe; bestand das Erfordernis, daß er sich durch Warden Dios’ Rettung neue Zwänge zumutete, zurückkehrte ins Kinderbett. Sie wußte es nicht, doch das mochte der einzige Weg sein, um dafür zu sorgen, daß ihr Sohn Mensch blieb.
Der unverhohlene Gram, den ihr Davies’ Entscheidung verursachte, rief bei Angus seltsame Rührung hervor; eine ihm gänzlich unvertraute Gefühlsregung. Das war ihm nicht einerlei. Ihm war es zuwider, Morn leiden zu sehen. Aber er konnte es sich nicht leisten, sich von ihr in Rührseligkeit versetzen zu lassen.
Er weigerte sich. Gottverflucht und zugenäht noch mal, o ja, er weigerte sich. Üblerweise erreichte er damit gar nichts. Dios war noch beim Nachdenken. Sobald sein Nachdenken zu einem Ergebnis geführt hatte, blieb Angus nichts anderes übrig, als ihm zu gehorchen.
Er begegnete den Menschen ringsum mit Spott, weil ihm für seine Bitterkeit jedes andere Ventil fehlte.
»Scheiß auf jeden Versuch, ihn umzustimmen«, meinte Angus zu Morn, als Davies aus emotionaler Erschöpfung aufs Deck gesunken war; inständig hoffte er, daß Davies’ Kapitulation genügte, Dios ihn aus dem Spiel ließ, in Ruhe. »Kontaktiere lieber die Stiller Horizont und gib deinem hochgeschätzten Polizeipräsidenten durch, daß er weitgehend haben kann, was er will, und zwar ehe dein Jüngelchen noch mehr moralische Anwandlungen hat und es sich anders überlegt.«
Davies war sein Sohn. Dennoch gab sich Angus alle Mühe, um sich einzureden, daß es ihnen keinen Deut scherte, was aus dem Jungen wurde. Und tatsächlich mochte es stimmen, daß es ihn nicht interessierte, ob die Amnion Davies benutzten, um das Los der Zwangsmutation über die Menschheit zu verhängen. Gleichzeitig jedoch traf es zu, daß er in seinem Sohn sich selbst wiedererkannte. Davies lag in einer anderen Art von Kinderbett gefesselt; durch das Argument der ›Millionen von Menschenleben‹ und Dios’ kriminelle Autorität an die Gitterstäbe gebunden. Genau wie Angus war er von denen abhängig, die ihn malträtierten.
Mehr als einmal waren Menschen von Angus ermordet worden, die ihn an seine Wehrlosigkeit erinnert hatten. Und mindestens einmal hätte er aus dem gleichen Grund fast auch Morn getötet.
Der Blick, den sie ihm zuwarf, hätte ihm womöglich das Herz zum Zerspringen gebracht, wäre es nicht schon so übervoll mit auswegloser Untröstlichkeit gewesen. Ihre Augen glichen einem stummen Geheul der Qual. Trotz allem, was ihr von den Astro-Schnäppern angetan worden war – und allem, was sie für Davies durchgemacht hatte –, betrachtete sie es noch immer als ihre Pflicht, Menschenleben zu schützen – ganz egal, welchen Tribut es ihr selbst abforderte.
Auch eine Art von Kinderbett.
»Glaubst du, daß es reicht?« fragte sie, als meinte sie etwas völlig anderes. Die Zermürbtheit ihres Tonfalls zeugte von Empörung, von Abscheu und Verzweiflung. »Du hast dich geweigert. Ich weigere mich. Bist du der Ansicht, die Amnion sind damit einverstanden?«
»Na, eigentlich müßten sie’s, verdammt noch mal«, antwortete er. »Eigentlich wollen sie ja nur ihn. Wir sind für sie bloß Randfiguren.« Er schnaubte. »›Entschädigung für die gegen Thanatos Minor verübte Aktion‹, daß ich nicht lache. So ein Blödsinn. Das soll nur von der Wahrheit ablenken. Nicht mal Vector ist ihnen wichtig. Es ist ausschließlich Davies, um den sich das ganze Affentheater dreht.«
»Schaden kann’s nicht, es zu versuchen, Morn«, sagte Min Donner halblaut dazwischen. »Geben wir ihnen nicht, was sie verlangen – oder behalten wenigstens die Verhandlungen bei –, gestehen sie uns vielleicht nicht mehr genug Zeit zu, um uns auf irgend etwas anderes zu verlegen.«
Angus war sich ganz sicher zu wissen, wovon die OA-Direktorin redete: von ›genug Zeit‹ für den Zweck, zu dem Morn eigentlich die Erde
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