Amnion 5: Heute sterben alle Götter
wollte, hat er Fasners Befehl um einen zusätzlichen Code ergänzt. Damit hat er uns ’n Ausweg geschaffen.«
»Zunächst habe ich diesen Codesequenzen überhaupt keinen Sinn abgewonnen«, bemerkte Angus unvermutet. »Die Computersysteme der Posaune konnten damit nichts anfangen. Erst als ich sie der Schnittstelle meines Interncomputers vorsagte… da wirkten sie wie eine Instruktion…« Seine Augen brannten, als wären sie voller Schwefelsäure. »Zuerst änderte sich gar nichts. Aber kaum hatte Succorso das Raumschiff verlassen, bekam ich von meinem Data-Nukleus den Befehl, den Text Davies zu zeigen.«
Nicht Morn: sondern Davies. Der VMKP-Polizeipräsident hatte nicht wissen können, wie weit Morn durch Angus und Succorso geschunden worden war; nicht zu beurteilen vermocht, was sie eventuell anstellte, wenn sie die Verfügungsgewalt über Angus erlangte. Also hatte er ihren Sohn vorgezogen. Warden Dios hatte Davies, ohne ihn zu kennen, das gleiche Maß an Macht wie Nick Succorso verliehen.
Damals hatte der Entschluß, Angus von der Kandare der Prioritätscodes zu befreien, Davies überfordert. Morn war diese Entscheidung allein zu treffen genötigt gewesen. Aber jetzt war Davies zu eigenen Entschlüssen fähig…in dieser Beziehung hatte er seine Versprechen schon gehalten.
»Ich kann ihn nicht einfach seinem Schicksal überlassen«, sagte Davies zu seiner Mutter. »Nicht nachdem er uns aus der Scheiße geholfen hat. Nicht wenn er an Bord der Stiller Horizont steckt.«
Um nicht zusammenzuklappen, hockte er sich aufs Deck; stützte die Ellbogen auf die Knie und das Gesicht in die Hände. Falls sich ihnen die Möglichkeit ergab, benutzten die Amnion ihn, um die Menschheit zu eliminieren. In der Tasche ruhte noch spürbar Min Donners Dienstwaffe auf Davies’ Oberschenkel, aber sie bedeutete für ihn keine Verlockung mehr.
ANGUS
Angus begegnete jedem ringsherum mit Hohn, weil er nicht wußte, was er sonst tun sollte.
Seit er seine Weigerung, Warden Dios zu retten, ausgesprochen hatte, war er praktisch handlungsunfähig geblieben. Er konnte noch reden und sich bewegen; im Rahmen vordergründiger Zusammenhänge war er noch zu Entschlüssen fähig. Auf tieferer Ebene jedoch stak er gefangen zwischen Morns Willen und seiner Weigerung; zwischen der Notwendigkeit, dem Kinderbett zu entrinnen und der völligen Abhängigkeit von der geistig derangierten, halb irren Frau, die ihn mißhandelte.
Morn hatte ihn von den Prioritätscodes erlöst; von Zwängen und Qualen, die ihm auferlegt worden waren von Warden Dios. Nun jedoch brauchte sie seinen Beistand, um Dios den Klauen der Amnion zu entwinden. Sonst hatte er ihr nichts mehr zu bieten.
Aber er brachte es einfach nicht über sich. Ihm graute davor. Ihm grauste vor Warden Dios. Ohne den Rückhalt seiner Zonenimplantate wäre er nicht einmal zu antworten imstande gewesen, als Dios ihn angesprochen, ihn gefragt hatte: Ist mit Ihnen alles in Ordnung? Nur die artifiziellen Hilfsmittel hatten ihm genügend Kraft geliefert, um zu entgegnen: Wir warten darauf, daß Sie wenigstens eins Ihrer Versprechen einlösen.
Trotz seiner Pose des Sarkasmus und der Streitbarkeit wäre er beinahe in idiotischer Panik auf die Knie gesunken und hätte geseibert, als Dios erwidert hatte: Ich denke darüber nach. Er wußte, worüber Dios nachdachte; nämlich keineswegs über die Angus oder Morn gegebenen Versprechen.
Sein Lebtag lang hatte Angus die Polypen gefürchtet und gegen sie gekämpft; und dabei gelernt, wie der Verstand eines Menschen wie Warden Dios funktionierte. Auch Hashi Lebwohls Mentalität hatte er gründlich kennenlernen dürfen. Und er wußte, was Rückversicherung bedeutete.
Nie hatte er nur für eine Sekunde geglaubt, die Prioritätscodes wären das einzige Machtmittel, das Dios und Lebwohl über ihn zur Verfügung stand. Als Dios mit ihm sprach, hatte er voller Schrecken erwartet zu erfahren, welche anderweitigen Formen der Nötigung der VMKP-Polizeipräsident gegen ihn anwenden konnte.
Aber dazu war es nicht gekommen. Noch befand sich Dios beim Nachdenken. Er wollte erst wissen, wie die Überlebenden der Posaune sich zu Marc Vestabules Forderungen stellten, ehe er den letzten, endgültigen Schritt zu Angus’ cyborgischer Entmenschlichung tat.
Vector Shaheed, der Retter der Menschheit, hatte also beschlossen, sich den Amnion zu ergeben: Angus hatte nichts dagegen. Davies hatte sich zuletzt auch dazu durchgerungen, vor ihnen zu kapitulieren: Das sollte
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