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Das Bernsteinerbe

Das Bernsteinerbe

Titel: Das Bernsteinerbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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Prolog
    Die List
    Königsberg/Preußen
    Anfang September 1662
    A uf Roths Worte folgte bestürztes Schweigen. Neugierig schweifte Carlottas Blick über die illustre Schar der Anwesenden. Der ungewöhnlichen Hitze zum Trotz hatten sich an diesem Nachmittag des ersten Dienstags im September nahezu alle Kneiphofer Bürger zur Versammlung im Junkergarten eingefunden: vom erfolgsverwöhnten Bernsteinhändler aus der Langgasse über den brummigen Zimmermann aus der Köttelgasse und den wild schwadronierenden Malzbrauer aus der Schempergasse bis hin zum durchgeistigten Gelehrten aus der Magistergasse. Die angespannte Lage der Stände hatte sie auf den von Mauern umgrenzten Platz unter den weit ausladenden Linden nahe des Alten Pregels geführt. In seltener Eintracht hielten sich die Herren in feingewebtem englischen Tuch dicht neben den Männern in groben Drillichröcken. Sogar die biederen Kaufmannswitwen mit den kostbaren Spitzenschnebben auf dem Kopf rückten an die drallen Handwerkerfrauen und derben Krämerweiber mit ihren schlichten weißen Hauben heran.
    Bereits fünf Jahre schwelte der Zwist der Königsberger Stände mit ihrem Kurfürsten Friedrich Wilhelm, seit gut zwei Jahren schon tagte der Landtag im Schloss der benachbarten Altstadt. Nach dem gestrigen Treffen der Oberräte mit dem kurfürstlichen Statthalter Fürst Radziwill, den Altstädter und Löbenichter Bürgermeistern und dem Kanzler der ehrwürdigen Albertina schien endlich Bewegung in die Angelegenheit zu kommen – wenn auch nicht solcherart, wie die Kneiphofer sich das seit langem erhofften.
    »Wie es aussieht, schwenken die Altstädter und Löbenichter also um. Es heißt, in wenigen Tagen steht Friedrich Wilhelm mit seinen Truppen vor der Stadt«, wiederholte Roth seine letzten Sätze. Umständlich wischte er sich den Schweiß von der hohen Stirn, wippte auf den Fußspitzen und räusperte sich. Bevor er weitersprechen konnte, schob sich der dicke Schimmelpfennig vor. Die siebzehnjährige Carlotta horchte auf. Allmählich wurde der Nachmittag interessant.
    »Machen wir uns doch nichts vor«, hub der Druckereibesitzer an. »Auf gut Deutsch bedeutet das: Wir Kneiphofer sind völlig wehrlos. Sind erst die Kanonen auf unsere Mauern gerichtet, nutzt uns der Beistand des polnischen Königs Johann II. Kasimir rein gar nichts mehr, auch wenn wir ihn Anfang Juli in unserem Bundesbrief zu unserem Lehnsherrn erklärt haben. Denn er wird unseretwegen nicht mit den Säbeln rasseln, um den Kurfürsten zu erschrecken, da er streng genommen auch dessen oberster Lehnsherr ist und außerdem bekanntlich eine Krähe der anderen nicht die Augen aushackt. Und vergesst nicht: Setzt der Brandenburger erst einmal die Akzise sowie die Beschneidung unserer ständischen Mitspracherechte durch, hat auch der Pole etwas davon. Welcher Fürst wehrt sich schließlich gegen eine Steuer, um sich ein stehendes Heer zu finanzieren? Mit anderen Worten: Die Kacke dampft gehörig.«
    »Genau!«
    »Recht habt Ihr!«
    »Was aber können wir tun?«
    Kaum hatte Schimmelpfennig geendet, schwoll die Unruhe unter den Versammelten an. Die Ersten bückten sich bereits nach Steinen oder brachen Zweige von den Bäumen. Soweit Carlotta das von ihrem Platz im schattigen Spielmannswinkel erkennen konnte, wirkte Schöppenmeister Roth müde und kraftlos. Entschlossen raffte die junge Wundärztin den Stoff ihres grünen Samtrocks, um sich durch die Menge nach vorn zu schieben.
    »Nicht!« Blitzschnell fasste die Mutter sie am Arm und hielt sie zurück. Die schräg stehenden, smaragdgrünen Augen der zierlichen Kaufmannswitwe funkelten aufgebracht. »Dir steht es nicht an, dich in dieser Runde zu Wort zu melden. Nicht allein dein jugendliches Alter spricht dagegen. Wir leben erst seit vier Jahren hier am Pregel. Es ist nicht unsere Angelegenheit, wenn die Kneiphofer Stände seit Jahren mit dem Kurfürsten streiten. Davon abgesehen bin ich diejenige von uns beiden, die dem Kontor unserer Familie nach dem Tod deines Vaters vorsteht. Ich habe das Stimmrecht, nicht du. Oder interessiert dich der Handel jetzt doch mehr als die Wundarztkunst?«
    »Wenn uns das nichts angeht, frage ich mich, wozu wir überhaupt hergekommen sind.« Verärgert entriss Carlotta sich ihren Händen und machte einen Schritt nach vorn.
    »Ihr, verehrtes Fräulein Grohnert?« Überrascht sah der weißhaarige Schöppenmeister von seinem Podest zu ihr hinunter.
    »Gebt mir einen kurzen Moment«, bat sie. »Ich habe einen Vorschlag, wie wir

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