Amnion 5: Heute sterben alle Götter
angeflogen hatte. Er haßte die gesamte Polizei; doch auf sonderbare, verschlungene Weise faßte er allmählich Vertrauen zu Min Donner. Er glaubte, daß Donner, falls Morn auf die Wünsche der Stiller Horizont einging, alles unternahm, was in ihrer Macht stand, um Morns Vorhaben zu unterstützen.
Allein dieser Gedanke allerdings weckte bei ihm das Verlangen, sie umzubringen. Sie war Polizistin; geradezu die Verkörperung der Operativen Abteilung; sie hatte kein Recht, ehrlich zu sein.
Als könnte sie Angus’ Anblick nicht mehr ertragen, wandte sich Morn langsam von ihm ab. Ihr Blick schien, ehe sie ihn auf Min Donner heftete, Schrammen in Angus’ Gemüt zu kratzen. Für einen ausgedehnten Moment maßen die beiden Frauen sich, als versuchten sie, gemeinsam einen Abgrund zu überbrücken. »Funkoffizierin«, sagte Morn schließlich mit gepreßter Stimme, »verbinden Sie mich mit Polizeipräsident Dios.«
»Sofort«, nuschelte Cray ohne zu zögern. Sie tippte Befehle in die Tastatur, um per Vermittlung durch die VMKP-HQ-Stationszentrale den Funkkontakt zur Stiller Horizont wiederherzustellen.
Unterdessen schaute Min Donner Kapitänhauptmann Ubikwe an. »Wenn ich mich recht entsinne, Dolph«, bemerkte sie, »haben wir kein Shuttle verfügbar.«
»Stimmt, Direktorin«, bestätigte er. »Wir müssen das Kommandomodul einsetzen.« Düster spiegelte sich in seinen Augen Widerwille gegen die Vorstellung, Davies und Vector den Amnion auszuliefern – und zur gleichen Zeit Schaudern vor den Folgen, denen entgegengesehen werden mußte, schlug man die Forderung aus. »Es sei denn, Kapitän Thermopyle meldet sich freiwillig, um die Posaune hinüberzufliegen.« Aber er wartete nicht auf Angus’ Ablehnung des Vorschlags. »Bydell, informieren Sie die Besatzung«, befahl er statt dessen, »sie soll sich auf die Abtrennung des Kommandomoduls vorbereiten. Teilen Sie der Hilfssteuerwarte mit, sie soll sich darauf einstellen, die Kontrolle übers Schiff in fünfzehn Minuten zu übernehmen. Ich benenne die Crew des Kommandomoduls, sobald wir mit der Stiller Horizont eine Abmachung getroffen haben.«
»Aye, Kapitän.« Rasch schaltete Bydell ihr Mikrofon ein und schickte die zuständigen Besatzungsmitglieder der Rächer auf ihre Posten.
Cray hob den Kopf. »Leutnantin Hyland«, meldete sie mit trübseliger Stimme, »Polizeipräsident Dios ist am Apparat.«
Neue Spannung packte die Brückencrew und die übrigen Anwesenden. Patrice und Porson nahmen an ihren Plätzen stramme Haltung ein. Wie jemand, der beim Nachfolgenden keinerlei Part hatte, rückte Min Donner das Kehlkopfmikrofon zurecht und setzte ihre Verständigung mit der Stationszentrale fort. Sie mochte ihre Seele an Warden Dios verkauft haben, aber sie hielt das Morn gegebene Wort.
Steif nickte Morn der Funkoffizierin zu. Mit dem Daumen schaltete sie das Mikrofon des Kommandopults an, und Cray nahm für das Gespräch mit der Stiller Horizont wieder die Brücken-Lautsprecher in Betrieb.
»Morn«, ertönte in derselben Sekunde Dios’ Stimme; die Übertragung wurde von Statik gestört, die klang, als zerknüllte man ein Festkopieblatt, aber man hörte trotzdem die gewachsene Eindringlichkeit heraus. »Sind Sie inzwischen zu einer Entscheidung gekommen? Ich kann nicht mehr lange warten. Meinem Verhandlungspartner hier an Bord geht die Geduld aus.«
Als spontane Reaktion auf die Worte des VMKP-Polizeipräsidenten ruckte Davies’ Kopf hoch. Morns Gesichtszüge waren starr geworden. Vector seufzte kaum vernehmlich. Keinem von ihnen war klar, was bevorstand.
»Polizeipräsident Dios«, antwortete Morn mit trotz der Aussicht auf den Verlust ihres Sohns fester Stimme, »ich weiß, daß Sie sich in einer schwierigen Lage befinden. Wir geben uns alle Mühe.«
»Ich möchte keine Ausreden hören, Morn«, erwiderte Dios sofort. »Ich will Taten sehen.« Auf irgendeine Weise hatte er eine Art von innerem Widerstand überwunden, die Intensität seines Tonfalls auf eine neue Ebene gehoben. »Es geht mir darum, daß die Defensiveinheit aus dem Sonnensystem verschwindet und möglichst viel von unserem Planeten unversehrt bleibt.«
Die Kraftfülle, die Warden Dios’ Stimme vermittelte, ließ Angus regelrecht erzittern. Der VMKP-Polizeipräsident verfügte über eine echte Begabung zum Befehlen, ein Talent, Menschen zu Gehorsam zu bewegen, ihnen Vertrauen zu seiner Person einzuflößen. Sogar Angus war ihm fast zu glauben geneigt gewesen, als er gesagt hatte: Damit muß Schluß
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