Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Amras

Titel: Amras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Bernhard
Vom Netzwerk:
Gesicht, das schon entschwindende … seinen Körper, den nur noch in seinen qualvollen, mühevollen Bewegungsversuchen (Walter) vorhandenen … Er kommt in den Turm und stürzt gleich ans Fenster … seine Gestalt, die dann lauter Gestalten zurückläßt, er, der mit keiner dieser Gestalten mehr übereinstimmt … Es gibt aber keine erste und keine letzte Gestalt des Bruders … keinen Bruder … Walter ist . Wo hast du das schon gehört? Gedacht? Daß hunderttausend, Millionen, Milliarden Gestalten … der Tod unterbricht ja nicht … Mein Verhältnis zu Walter jetzt : er zieht hundertfach seinen Rock aus, geht hundertfach in die Schwarze Küche, liegt auf dem Strohsack … fürchtet sich vor dem Augsburger Messer, hundertfach … aber nicht hundertfach wie ihr ewig … In Aldrans hängt alles mit Walter zusammen.
    Das Wort Krähen und das Aufschreien der Krähen und das Niederstürzen der Krähen und das Schwarz der Krähen sind alles, was du empfindest … Das Wort Krähen ist die vergangenen und die zukünftigen, die gegenwärtigen Jahreszeiten … Das Wort Krähen macht, wie das Niederstürzen der Krähen usf., alles möglich, unmöglich usf… . Tagelang macht das Wort Krähen (auch im Schlaf, der einHalbschlaf ist) alles zunichte, richtet es alles zugrunde, löscht es um dich herum alles aus.
    Ein Sarg wird vorbeigetragen: der Pfarrer geht hinter dem Sarg, die Schwester des Toten geht hinter dem Sarg (hinter dem Toten), die Braut des Toten, die Kinder des Toten, die entfernter Verwandten des Toten, den sie im Sarg vermuten , dann die Musik.
    Unser Jahr in Folkestone mit seinen monatlichen Besuchen in London ist unser schönstes gewesen, wie sich jetzt zeigt; das Studium einer höheren Unklarheit …
    Aldrans 7. XI.
    Lieber Onkel, ich habe, nachdem Du mich nach Aldrans gebracht hast und so rasch wieder fort bist, vier Tage gebraucht, um mich an mich, an mich, der ich bin, zu gewöhnen, an mich, der ich jetzt ohne Walter bin, ohne Walter immer gewesen bin; ich habe nur immer geglaubt, allein zu sein, ich bin nie allein gewesen … erst jetzt bin ich wirklich allein …
    Das Haus läßt sich, seltsamerweise, da es doch erst ein paar Monate alt ist, von oben bis unten gut heizen; ich mache mir alles selbst; durch die Handarbeit komme ich einfach zu mir zurück, auf einmal verstehen mich meine Gedanken … Mein Essen, meine Kleider, alles ist meine Sache … Deine Leute sind zutraulich, aber gehen mir doch aus dem Weg, es ist jetzt für sie doch etwas an mir, vor dem sie sich fürchten. Vielleicht machen sie mir jetzt Vorwürfe … sie sind alle gut, ich beobachte sie, wie sie arbeiten, essen, sich unterhalten, vor allem beobachte ich ihr Verhältnis zu Dir, zu ihrem in letzter Zeit, wie sie sagen, selten zu ihnen kommenden Herrn; ich glaube, es ist ein gutes Verhältnis.
    Höre: der älteste und der jüngste Deiner Holzfäller schlafen, nicht nur in der Nacht, miteinander … es ist nicht wider natürlich (ja, wie die Natur widernatürlich), nein,aber da doch noch andere in dem Schlafsaal sind, glaube ich, solltest Du den Alten doch zu den Lärchen hinauf versetzen …
    Das Kartenspiel lenkt mich ab, die vielen verschiedenen Möglichkeiten des Kartenspiels, des schönsten Menschenspiels, es verschafft mir eine, wenn auch auf die Dauer gefährliche Ruhe.
    Meine Berechnungen, was die geschlagenen Hölzer betrifft, stimmen alle … Mich freut meine neue Beschäftigung … Die Müdigkeit, die mich jetzt schon um acht, um halb neun mit den andern ins Bett fallen läßt, ist nicht die Müdigkeit meiner letzten Jahre … Hollhof interessiert sich auch weiter für uns, ich schreibe ihm aber kaum Nützliches, und auch das nur aus der Verpflichtung heraus, die ich habe, weil er ein Freund unsres Vaters gewesen ist …
    Es ist oft zum Angsthaben still im Forsthaus. Noch weit davon entfernt, die für mich neue Natur zu studieren, fange ich an, Entdeckungen meiner Kindheit, die längst vergessen sind (z. B. die Geometrie der Kristalle), wieder zu machen … An Lektüre fehlt mir das Buch ›Über Urgestein‹ von Bergonzi; mit Seume will ich mich gern beschäftigen, habe Lust, ›Moby Dick‹, den Descartes zu lesen … Bring, wenn Du heraufkommst, zwei Kisten Bier, ein Liter Petroleum und ein Vorhangschloß für den Schuppen mit.
    Das Bewußtsein, daß du nichts bist als Fragmente, daß kurze und längere und längste Zeiten nichts als Fragmente sind … daß die Dauer von Städten und Ländern nichts als Fragmente sind …

Weitere Kostenlose Bücher