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Amras

Titel: Amras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Bernhard
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hatte sich schon um halb zehn an die Wand gedreht, ich selbst mich dem Schlafmittel länger als eine Stunde, dann ohne Erfolg, widersetzt, war aufgestanden und auf den Gang und ins Vorhaus hinunter und wieder zurück in das Brüderzimmer gegangen … einen Augenblick, nur einen Augenblick hoffte ich, jemand käme ins Haus und entdeckte uns … kein Mensch kam … das Innwasser schlug, sobald ich nur noch in milchigen Bildern schwamm, in hoch aufgetürmten, dann ineinandergeschobenen Wellen an die durch den Felssturz veränderte, von uns Kindern gefürchtete Uferstelle … In der Stadt war auf einmal ein Lärm, als ob Menschen erschossen würden … vom Zollamt herüber hörte ich Schritte, immer mehr und mehr Schritte, als ob die Soldaten jetzt aufmarschierten … ein sich immer noch mehr vergrößernder Vogel war plötzlich im Zimmer, verzweifelt an alle vier Wände schlagend … ich hatte Angst, ersticken zu müssen …
    In dem, wie ich weiß, von unserem Onkel mit Vorliebe für die Finsternis ausgestatteten, von ihm mit den Jahren, anscheinend für sich selbst, immer noch mehr verfinsterten Turm, durchlebten wir eine einzige schlaflose, nur von unseren heftigen Körper- und Gefühlsschmerzen, WasserundVogelgeräuschen aufgelockerte Nacht, und die schöne, die sogenannte erhabene Kunst und die hohe Wissenschaft, als deren Nutznießer wir beide uns, so gut und solange es gegangen war, von Kindheit an in der Elternumgebung immer fast ungestört, wenn auch im Schatten unserer Krankheiten, anschauen durften, waren für uns, die wir, auf Befehl unseres Vaters aus dem Ausland (aus England), wohin wir zu Studienzwecken beordert, dann auf einmal zurückkommandiert worden waren, wegen der immer schwereren Krankheit der Mutter, auch Walters im Ausland ganz plötzlich vergröberter Krankheit wegen, auf einmal kein Mittel mehr, uns grundlegend, so, daß es heilsam gewesen wäre, von uns, von unseren entsetzlichen Krämpfen, von unseren entsetzlichen Krankheitszuständen abzulenken, geschweige denn aufzurichten … Es schien uns in diesen Wochen, als wäre uns meine Naturwissenschaft mit den Eltern gestorben, als hätte sie mit den Eltern Selbstmord begangen … als wäre auch Walters Musik seither tot; wir schauten in unsere Forschungen, in unsere erstaunlichen Theorien und Entdeckungen, in unsere Geistesprodukte auf einmal wie zwei um alles Betrogene in ein Leichenhaus; mit jedem Buch, das ich aufschlug, schlug ich einen Sarg auf … unsere ästhetischen, selbst unsere frühesten fragmentarischen Errungenschaften, Anrechte, Vorrechte für unser Leben, Beweise für unsere Geistesentwicklung, waren eingesargt … Walter, um ein Jahr jünger, von, wenn auch kranker, so doch viel kunstvollerer Natur, Harmonie, hörte, wann immer, keine noch so entfernte Musik mehr; aus ihm, dem sie alles gewesen war, der sich ein Leben ohne sie niemals auch nur hatte vorstellen können, hatte sie, die er sich erforscht hatte, sich gleichsam mit ihm erschrocken zurückgezogen … Meine Naturwissenschaft, was sie darstellte, war mir mit einem Mal nur noch ein mich verstörendes, mich für sie selber bestrafendes Mißverhältnis zu dem, was ich immer gewesen war , gewesen … Das den Turm in den späteren Märztagen auf einmalwiderspenstig umgebende Wetter bestand, wichtigtuerisch, aus tausenderlei gegensätzlichen Stimmungen, Mutationen, Revolutionen, Explosionen … es hatte so, seltsam, auf uns im Turm, die wir gleichmäßig trübsinnig, plötzlich weit hinter uns selber zurück ohne jeglichen Fortschritt waren, einen furchtbaren Einfluß: wir verkrochen uns oft, wie verabredet, in den hintersten Winkel der nur ein paar Schritte von unseren Strohsäcken entfernten Schwarzen Küche … hier und da in der Dämmerung, wenn aus der tiefen eine noch tiefere, uns, wie wir glaubten, verleumdende Nacht geworden war, wenn uns die Bergschläfen, die in das Sillwasser schneidenden Wände, wenn uns das monumentale, durch die brausende Sill echolose Geklüft bis zur Unkenntlichkeit unsere Um welt und dadurch auch unsere Innen welt sträflich verfinsterten, verfinsterten und verkrüppelten, getrauten wir uns hervor … Wir verschoben dann, wie von uns selber verhöhnt, von den Landschaften, von den Wissenschaften, von den menschlichen Dunkelhaften und Künsten, unter närrischen, konfusen Zurufen, Sätzezerbröckelungen, bis in die Mitternacht und darüber, allein von der Wärme und von der in ihr Wurzeln schlagenden tierischen Eifersucht unserer Körper

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