An den Rändern der Zeit, Teil 2 (German Edition)
ganz oder besser gesagt: Er hielt es für ein Sicherheitsrisiko. Dass sie einfach so einschlummerte, war seit knapp einem Jahr nicht mehr passiert.
Es wird ihr guttun, dachte Chandra, und damit hatte er auch recht.
Aber schon am nächsten Tag sollte B.C. erkennen, dass sich das Phänomen der Unreinheit im Energiestrom verstärkt hatte, und Chandra musste auf die Außenmission gehen.
Abschnitt K
Zwei struppige, dunkle Kinderköpfe schoben sich über den Rand der verwitterten Mauer. Bonea und Faruk standen auf je einer der breiten Schultern Ois, und der Riese stand geduldig wie ein Lastesel da. Bereits auf dem letzten Stück Weg hatte er die Kinder abwechselnd (und manchmal auch beide zusammen) getragen, und es hatte ihm nichts ausgemacht, ganz im Gegenteil. Faruk war auch nicht viel schwerer als das Federgewicht Bonea, und er, Oi, konnte sich kaum erinnern, dass er sich jemals so gut gefühlt hatte, während er sie trug. Bonea hatte ganz recht: Nie wieder sollte jemand mit Steinen nach ihr und ihrem kleinen „Bruder“ werfen dürfen. Ich werde das nicht zulassen, nahm er sich fest vor.
Der Abendhimmel verfärbte sich zu einem prächtigen Rotgold, und das machte den verwilderten Garten, der sich jenseits der Mauer ausbreitete, zu einem verzauberten Ort. Und er war menschenleer. Verlassen.
Mittendrin, auf einem halb in der Erde versunkenen Tisch, sah Bonea eine große Katze liegen, zusammengerollt, und die Strahlen der sinkenden Sonne ließen ihr Fell wie pures Feuer leuchten. Ein Bild vollkommenen Friedens. Faruk empfand das offenbar auch so – eine ganze Weile standen er und Bonea einfach nur so auf Ois Schultern und schauten auf das Gras, die Bäume, die Katze.
„Kinder?“, fragte Oi schließlich von unten, und das brach den Bann.
„Alles klar“, rief Bonea zurück und zog sich gleich darauf geschickt über die Mauer hinweg. Faruk tat es ihr gleich. Beim Klang der Menschenstimmen hob die wunderschöne Katze den Kopf und blickte die Kinder ruhig an.
Sunny wusste, wer die Ankömmlinge waren. Sie hatte sie erwartet. Sie hatte sogar bereits ein paar Leckerbissen erjagt, die sie den drei Menschen nachher stolz zu präsentieren gedachte.
Und dann war die kleine Gruppe wirklich komplett – nachdem auch Oi etwas mühselig hinter seinen Schützlingen hergeklettert war.
Leichtpfotig sprang Sunny vom Tisch herab und rieb sich an den sechs Menschenbeinen. Sie schnurrte.
Bonea sah Faruk an, dann Oi und meinte überwältigt: „So etwas Schönes habe ich noch nie gesehen. Bäume mit Rinde. Gras, das nicht niedergetrampelt ist. Blumen. Katze.“ Sie machte ein paar ausholende Gesten, weil ihr die Worte fehlten. Dann ließ sie sich ins Gras fallen und streckte scheu eine Hand nach der Katze aus. Sunny beschnupperte ihre Finger ausgiebig, blinzelte zufrieden und schnurrte lauter. Auf einmal richtete sie ihren intensiven, meergrünen Blick auf das kleine Mädchen.
Du bist es, schnurrte sie.
Ich bin es?, wiederholte Bonea in Gedanken verblüfft. Den Bruchteil einer Sekunde später erkannte sie, was hier passierte. Sie streichelte das Tier.
Das Schnurren schwoll zu einem durchdringenden Knattern an.
Bonea holte tief Luft, nahm Faruks Hand und legte sie ebenfalls auf den Pelz, so dass der taube Junge das Vibrieren fühlen konnte. Staunen malte sich auf seinem Gesicht.
„Bonea?“, fragte Oi ein wenig verwirrt.
„Two Vocals, still! Ist keine gewöhnliche Katze. Ist eine Zauberkatze. Ich kann verstehen, was sie – schnurrt. Ihr Name ist Sunny.“
Es war nicht eigentlich das Schnurren selbst, wodurch Sunny ihre Botschaft übermittelte, sondern etwas dahinter … oder dazwischen … ein eigentümlicher, melodiöser Gedankenstrom. Bonea war es, die sich dem am besten anpassen konnte, aber auch Faruk verstand genug. Nach ein, zwei Minuten erhob er sich, nickte ernsthaft und packte Ois Hand, um ihn ein wenig zur Seite zu führen.
Der geheimnisvolle Gedankenaustausch zwischen Katze und Kind schien sehr lange zu dauern. Oi hoffte, Faruk würde einen schriftlichen Kommentar dazu abgeben, und er stupste ihn an, um ihn darum zu bitten, aber da schüttelte der kleine Junge heftig den Kopf und wies mit seiner schmutzigen Hand auf Bonea.
Oi begriff, doch er musste auf einmal mit wachsender Unruhe daran denken, dass seine kleine Freundin erschöpft und hungrig war. Faruk genauso. Anzumerken war ihm nichts. Der Junge setzte sich auf den halbversunkenen Tisch und ließ die Beine baumeln. Seine Augen blickten
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