Analog 01
bewegungslos zu sein, aber ihre Beine wirbelten umher. Sie war gerade eifrig mit dem dritten Punkt beschäftigt, den sie kreisen ließ wie eine Spindel und ihn so unentrinnbar in ihr seidenes Gespinst einwob. Irgendwie konnte sich ein Arm befreien, der wie wild ruderte, aber rasch wieder eingesponnen wurde. Der Fokus glitt ein Stück aufwärts, damit man auch den Kopf erkennen konnte. Der Mund des Kopfes stand weit offen und schrie aus Leibeskräften. Ungeachtet der verzerrten Züge war es unverwechselbar das Gesicht von Richter Speyer.
„Wir können auch noch den Ton einschalten“, sagte Faust leise.
Schreie erfüllten den Gerichtssaal. Quentin Thomas fühlte, wie ihm eine Eiseskälte das Rückgrat hinabkroch.
Atropos nahm den Kopf zwischen ihre Kiefer. Die Zuschauer sahen, wie die sensenförmigen Greifer entblößt wurden. Alles war sehr deutlich. Irgendwo hinter der Spinne deutete das Beben des Netzes darauf hin, daß auch die anderen Gäste nach ihrer Aufmerksamkeit heischten. Aber die konnten warten.
Knirsch.
Die Schreie erstarben. Im Saal herrschte Totenstille. Thomas konnte seinen eigenen Herzschlag hören. Poch, poch, poch, poch … Irgendwo hinter sich hörte er undeutlich ein dumpfes Geräusch. Jemand war in Ohnmacht gefallen.
Als die Spinne ihre Giftstacheln zurückzog, glaubte Thomas eine dunkle Flüssigkeit von einem der Stacheln herabtropfen zu sehen.
Die Szene verblaßte.
Der rotgekleidete Verteidiger sah zum Richterstuhl empor. Der Mund von Richter Speyer stand weit offen. Er schien unter einem Schock zu stehen und kaum imstande zu sein, zu atmen. Dann schien sein Gesicht langsam zu verblassen. Er verschwand – als hätte er sich in Luft aufgelöst.
Thomas sah sich rasch um. Am Anklagetisch kam Unruhe auf.
Jones, Ordways zweiter Mann, starrte Thomas starr vor Entsetzen an. „Sie sind verschwunden! Der Chef und Mr. Kull – verschwunden! Einfach verschwunden!“
„Ja“, stimmte Thomas zu. „Scheren Sie sich zum Teufel!“ Er nahm Ellen Welles bei der Hand. „Wir gehen auch, aber zuerst müssen wir mit Faust reden. Ich habe ein paar Fragen an ihn.“
Sie gingen hinüber, wo der bewegungslose Computer schwebte.
„Verdammt!“ fluchte Thomas. „Mußtest du das wirklich tun?“
„Was tun, Mr. Thomas?“ lautete Fausts Gegenfrage. „Das Leben Ihrer Klientin mit Taten retten, wo Sie es mit Worten nicht mehr vermochten? Ihre Anteilnahme verwirrt mich ein wenig. Jeder hat bekommen, was er verdiente. Und was er wollte.“
„Wie kannst du so etwas sagen?“
„Sie haben gewonnen. Die anderen werden abgewiesen, wenn dieser Fall neu eröffnet wird. Mrs. Welles ist am Leben und wird dieses so schnell auch nicht verlassen. Robert Morissey werde ich in Kürze befreien.“
„Aber … aber Speyer?“
„Er behauptete, man könne das Netz von Atropos nicht mit Fiber K vergleichen, da er noch keinen Kontakt mit dem Netz hatte. Dieses Argument kann er nicht mehr vorbringen.“
Sprach dieses Geschöpf im Ernst? Quentin Thomas war nicht sicher, ob er es überhaupt wissen wollte. „Und was ist mit Kull und Ordway?“
„Auch ihr Wunsch wurde erfüllt. Sie wollten sich den Rest ihres Lebens an ihre Substanz klammern. Und das tun sie auch, vielleicht sogar noch ein wenig länger.“
„Ich verstehe“, sagte Thomas trocken. „Und vermutlich hast du auch bekommen, was du wolltest?“
„Zweifellos meinen Sie die Befriedigung, die ich daraus ziehen konnte, ein armes, eingesperrtes Geschöpf mit Nahrung versorgen zu dürfen.“
Menschlich? Unmenschlich? Bei aller Gräßlichkeit seiner Ironie, dachte Thomas, war Faust nur allzu menschlich. Nichts ergab mehr einen Sinn. Trotzdem blieb noch eine letzte, quälende Frage. „Du hast fast alles getan, was du angesprochen hattest – Materietransport, chemische Kontrolle, Materieschrumpfung, Projektion der Zukunft. Aber wie steht es mit dem letzten …“
„Der Heilung von Krankheiten? Zum Beispiel eine Heilmethode für Leukämie?“
„Du weißt genau, was ich meine.“
„Erinnern Sie sich an das Zyanidglas“, sagte Faust. „Nachdem ich es entgiftet hatte, transportierte ich ein neuartiges Heilmittel hinein. Mrs. Welles sollte schon innerhalb der nächsten Woche eine deutliche Verbesserung ihres Zustandes zeigen. Ihre Krankheit wird geheilt werden. Aber ich muß jetzt gehen. Robert Morissey und ich haben noch eine Verabredung in einem anderen Kontinuum.“
„Aber wo … wie kann ich … dich erreichen?“
Zwecklos. Faust verblaßte
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