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Analog 03

Analog 03

Titel: Analog 03 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Joachim Alpers , Hans Joachim (Hrsg.) Alpers
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Zeichnung eines unbekannten Michelangelo zur höheren Ehre Gottes. Erst im neunzehnten – später im zwanzigsten – Jahrhundert wurde die wahre Natur dieses Tuches dank der Erfindung besserer fotografischer Methoden bewiesen.
    Das Leichentuch war schlicht und ergreifend genau das, für das man es gehalten hatte, nämlich das Leichentuch eines Märtyrers aus dem ersten Jahrhundert. Selbst eine flüchtige Untersuchung der anatomischen Details des Abdruckes mußte zu dem Ergebnis gelangen, daß kein auch noch so genialer Künstler des Mittelalters so genau hätte zeichnen können.
    Mit der Entwicklung hochkomplizierter wissenschaftlicher Instrumente, die die „Authentizität“ des Leichentuches bestätigen sollten, wurde die Frage, ob das Abbild auf dem Leinentuch wirklich von Jesus Christus stammt, immer bedeutsamer. Wie im Falle der meisten religiösen Fragen waren die Meinungen unterschiedlicher Art – und wurden heftig vertreten.
     
    Der Johannes dem Täufer geweihten Kathedrale war kaum anzusehen, daß sie fast tausend Jahre lang Zeuge einer turbulenten Vergangenheit war. Die großen Flügel des Portals standen weit offen, als wolle sie alle willkommen heißen, um im gedämpften Licht des Inneren Zuflucht zu suchen. Hier und dort an der prachtvollen Fassade der Kathedrale waren Einschüsse von Maschinengewehren zu sehen. Einige gingen zurück auf die Zeit des zweiten Weltkrieges. Andere Einschüsse von kleineren Kalibern waren weniger als dreißig Jahre alt. Sie sind Zeugen des Aufruhrs, der die Zweite Reformation begleitete.
    Müde und abgespannt stieg John Frakes die Stufen zum Portal der Kathedrale hinauf. Er ging über die Schwelle in den prunkvollen Innenraum und war froh, den Nieselregen, der draußen aus grauen Wolken fiel, hinter sich zu lassen. Als er den geistlichen Ort betrat, wurde ihm plötzlich die Wärme gewahr, die sowohl innerlich wie äußerlich über ihn hinwegspülte. Die äußerliche Wärme wurde von der wohlfunktionierenden Zentralheizung der Kathedrale ausgestrahlt, die von den Ordensbrüdern installiert worden war, als sie während der Zeit der Auseinandersetzungen einen sicheren Aufbewahrungsort für das Leichentuch aus dem soliden Felsen unter dem Fundament der Kirche herausmeißelten. Die innerliche Wärme kam aus dem Wissen, daß ungezählte Generationen von Menschen diesen Ort schon vor ihm betreten hatten. Agnostiker oder nicht, Frakes kam nicht umhin, eine gewisse Ehrfurcht zu empfinden, wenn er an die Leben dachte, die so eng verflochten waren mit diesem Gebäude und seinem heiligen Schatz.
    Da war Secondo Pia, der erste Mann, der das Leichentuch fotografierte. Er war es, der 1898 als erster das Gesicht in dem Tuch deutlich machte. Es erschien völlig klar auf einem seiner altmodischen Glasnegative. Später erklärte der Fotograf diesen Vorfall als eine intensive religiöse Erfahrung.
    Dann waren da Filippo Lambert und Guglielmo Pussod, die ihr Leben riskierten, um das silberne Kästchen, in dem das Tuch aufbewahrt wurde, vor den Flammen in Chambery zu retten. Und später kniete Prinzessin Klotilde von Italien auf rauhem Steinboden und arbeitete Stich für Stich an einem Stoff, der das Leichentuch geschützt hält. Sie verweigerte jede Hilfe, bis das Werk beendet war.
    Frakes stand in der Kathedrale und spürte plötzlich, wie ihm kalte Schauer den Rücken hinunterliefen. Der Schrecken fuhr ihm sichtlich in die Glieder, als er sich daran erinnerte, wo er sich befand und was er in den nächsten Minuten tun mußte.
    Davon abgesehen wurden seine Träumereien auch von dem hohlen Klappern von Ledersohlen auf Steinboden unterbrochen. Ein Mann in Messgewand und Nackenkragen kam zwischen zwei riesigen Säulen direkt auf ihn zu.
    „Doktor Frakes?“ fragte ihn der Geistliche, als er den wartenden Wissenschaftler erreichte und seine Hand nach ihm ausstreckte.
    „Ja“, antwortete Frakes und schüttelte dessen Hand. Der Händedruck des anderen war herzlich und fest.
    „Der Primus bedauert, daß er nicht pünktlich hier sein kann. Ich bin sein Assistent, Guiseppe Calle. Er hat mich gebeten, Sie bis zu seinem Eintreffen zu unterhalten.“
    „Sie sprechen sehr gut Englisch, Signore Calle, ohne jeglichen Akzent.“
    Calle lächelte. „Lassen Sie sich nicht von meinem Namen irreführen, Doktor. Ich komme aus Cleveland.“
    „Was ist mit Bartol?“
    Der Ordensbruder hob seine Hände. „Er hat sich zu einer religiösen Klausur in die Berge zurückgezogen.“
    „Schade, daß ich ihn nicht

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