Analog 04
Beschreibung eines einheimischen Arztes nicht auf „Doktor“.
Am Ende der zweiten Woche unserer Gefangenschaft konnten wir beinahe richtige Unterhaltungen führen.
„Wie lange will man uns hierbehalten, Argor?“ fragte ich eines Tages nach dem Mittagessen. Das Mahl hatte aus einem ungesäuerten Laib Brot und einem köstlichen gerösteten Stück Roastbeef bestanden.
„Es ist an Lord Ryfik, dies zu entscheiden, Edle.“
Es schien, daß Haret und ich „Edle“ waren. Keiner wollte uns sagen, warum. Was immer der Grund war, er war wahrscheinlich dafür verantwortlich, daß wir unser Quartier im Turm hatten und nicht im Burgverlies. Ich hatte den Wachen schon die Information entlockt, daß es eines gab.
„Was ist mit unserem Freund?“ fragte Haret. „Ihr habt uns, seitdem er seine Sinne vor drei Tagen … ach, laßt nur.“
„Euer Freund hat einen herzhaften Appetit und gewinnt mit jeder verstreichenden Nacht an Kräften. Binnen kurzem wird er euch hier treffen.“
Drei Tage später lud uns Lord Ryfik vor.
Der Ratssaal von Fyalsorn war groß und leer. Er erinnerte mich an eine Kirche am Dienstagmorgen. Ein halbes Dutzend freitragende Pfeiler reckten sich über unseren Köpfen und trugen viel zu dem Eindruck bei, daß der Raum eher Teil einer Kathedrale als der Staatssaal eines weltlichen Herrschers war. Die Oberlichter aus Buntglas weit über uns verstärkten diesen Eindruck.
Ryfik selbst war genauso eindrucksvoll wie der Raum. Er war ein aufgeschossener Mann mit mattrotem Haar. Graue Flecken färbten seine Schläfen, und eine Narbe verlief quer über die rechte Wange. Seine Erscheinung war eine dunklere Version der rotwangigen, pfirsich- und cremefarbenen Mischung, die hier die Regel zu sein schien. Auffallend an ihm war das Fehlen eines Bartes.
Haret und ich wanderten aus dem Seitenschiff der Ratshalle und blieben, wie wir instruiert worden waren, ein Dutzend Schritte vor dem Thron stehen. Sofern man überhaupt von einem Zeremoniell sprechen konnte, so hatten wir ihm hiermit Genüge getan.
Ryfik blickte auf uns in unseren schmutzigen Overalls herab und gab einer der Burgwachen, die unauffällig im Schatten auf einer Seite des Saals standen, ein Zeichen. Die Wache verschwand durch eine Seitentür und hinterließ genügend andere mit bereitgehaltenen Waffen. Sie kehrte mit einem unsicher schwankenden Dal Corst zurück, den sie an einem Arm festhielt. Die Wache half ihm bis zur Mitte der Halle, wo wir standen.
Haret und ich umringten Dal, sobald die Wache ihn gehen ließ. Haret küßte ihn, und ich klopfte ihm auf die Schulter. Für einen Moment schien er desorientiert zu sein, dann versteifte sich sein Rückgrat.
„Berichte, Zeitwächter. Was, bei allen Gefahren der Parazeit, geht hier vor?“
Ich gab ihm eine sehr kurze Skizze von dem, was vorgefallen war, seitdem wir durch das Portal transitierte waren. Eine Erklärung, warum die Dinge so verdreht wirkten, in fünfundzwanzig Wörtern oder weniger. Haret führte es weiter und versuchte, einige Lücken zu füllen, die ich offengelassen hatte. Ryfik beobachtete das zwei Minuten lang mit Interesse, dann räusperte er sich lautstark.
Wir drei verstummten und blickten zum Thron.
Es schien, daß die Gerichtsverhandlung jetzt anfing.
15
„Wir haben lange auf eine Chance gewartet, einige von eurem Volk als Geiseln zu nehmen, Edle. Was sagt ihr zu einem Lösegeld? Wird euer König es zahlen oder nicht?“
Ryfiks Stimme dröhnte so stark durch die leere Halle, daß ich vermutete, der Architekt des Palastes müsse zumindest praktische Erfahrungen mit der Akustik gehabt haben. Er sprach langsam und klar, mit einer sorgfältigeren Aussprache, als es in Swajorn üblich war. Trotzdem mußte ich seine Worte kurz überdenken, bevor ich ihnen eine Bedeutung zuordnen konnte. Plötzlich wurde mir bewußt, was falsch daran war, während ich hörte, wie Haret Dal die Übersetzung von dem, was Ryfik sagte, zuflüsterte.
Diese Leute hielten uns für Dalgiri!
„Ihr seid im Irrtum, Lord“, dröhnte ich in meiner besten Nachahmung von Ryfiks Bariton. „Diejenigen, von denen Ihr ein Lösegeld für uns erpressen wollt, sind unsere eingeschworenen Feinde.“
Es folgte ein gemeinsames Aufkeuchen der zehn bis fünfzehn anwesenden Würdenträger. Das Echo war kaum in der großen Halle verklungen, als mir einfiel, daß ich einen etwas taktvolleren Weg, dies auszudrücken, hätte finden können. Ich wandte meinen Blick zu Dal, der mit einem entschlosseneren
Weitere Kostenlose Bücher