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Analog 06

Analog 06

Titel: Analog 06 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Joachim Alpers , Hans Joachim (Hrsg.) Alpers
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Geschlechtslose bewohnte Langfühlers Zimmer. Die Brut hatte sich um sie geschart und blitzte nach Aufmerksamkeit. „Wer bist du? Wo ist Langfühler?“
    Die junge Geschlechtslose sank hinab, wich zurück und senkte mit abergläubischer Ehrfurcht die Augen einige Zentimeter.
    „Ich bin Ringschwanz Braunrot.“ Sie schien unfähig oder nicht bereit, sich weiter zu erklären.
    „Hohe Herrin.“ Eine Reflexion von der Decke, vom Mund des Zimmers, erweckte ihre Aufmerksamkeit. Sie drehte ein Auge.
    „Gimpe!“
    „Ich kann deine Fragen beantworten, Hohe Herrin“, fuhr die alte Freundin feierlich fort. „Man meldete mir, daß du in die Stadt gekommen bist.“
    Sie begaben sich in völliger Dunkelheit zu den nahe gelegenen Gemächern der Gimpe.
    „Darf ich die Hohe Herrin fragen, wo ihre Wachen sind?“
    „Wachen …? Und laß den Unsinn mit der Hohen Herrin, Gimpe. Wir sind jetzt unter uns.“
    „Unsinn, Hohe Herrin?“
    „Du kennst mich, Gimpe. Ich bin nur Wink.“
    „Wie du befiehlst, Hohe Herrin.“
    Wink beschloß mit einem geistigen Seufzen, es dabei bewenden zu lassen. Schließlich konnte man von einer Geschlechtslosen keine herausragende Intelligenz erwarten.
    „Wo ist Langfühler?“
    „Langfühler ist zum Ruhme Gottes ins Heilige Wasser gegangen.“
    Tot …! Wink erschwarzte und senkte den Oberkörper zum Boden.
    „… wann?“
    „Vor achtundzwanzig Nächten.“
    „Warum hat man mir das nicht gesagt? Warum hat man mir das nicht gesagt!“ strahlte sie grell.
    „Du unterhieltest dich mit Gott, Hohe Herrin. Wer konnte es wagen, dich zu unterbrechen?“
    „Fürwahr, wer?“ Ihr Panzer ächzte, doch die Gefühle blieben in ihrem dunklen Innern eingesperrt.
    „Er war sehr alt“, erklärte Gimpe.
    „Ich weiß, aber …“
    „Er war doch nur ein Geschlechtsloser“, antwortete die Geschlechtslose.
    „Er war mein Brutschützer!“
    „Wie du meinst, Hohe Herrin.“
    Die Zeit verstrich in wortloser Dunkelheit.
    „Nun gut. Ich werde später trauern. Mir steht nur die halbe Nacht zur Verfügung, und diese Zeit muß ich nützen so gut es geht. Wo sind Rot und Süßschuppe und Glatt und der Rest vom alten Schwarm? Bring mich zu ihnen, ich möchte noch einmal an ihrem närrischen Treiben teilhaben.“
    „Glatt, der Hochtrabende Er ist als Missionar zu einem neuen Stamm jenseits der Berge der Melancholie gegangen. Süßschuppe Sie hat die Dienerschaft verlassen und ist dem Korps der Krieger beigetreten. Und Rotfüßiger. Er ist schon seit über drei Jahren bei den Fischern. Ich kann dich zu keinem von ihnen bringen, Hohe Herrin.“
    „Drei …“ Jahre? Drei Jahre? War sie schon so lange weg?
    „Ja, Hohe Herrin, ich weiß, drei Jahre sind länger als die übliche Pflichtzeit bei den Fischern. Doch er wünschte es so. Er gehört zu denen, die das Leben in der Wildnis gepackt hat, und nun kann er es nicht mehr ertragen, in der Stadt Gottes zu leben.“
     
    In dieser Nacht ging sie nicht mehr zum See und in der nächsten und übernächsten auch nicht. Sie blieb in ihren bewachten Tempelgemächern – wie lange standen die Wachen schon da, und wer hatte angeordnet, sie zu bewachen? – und gab sich ihrem Kummer hin. Bei Einbruch der Dämmerung der dritten Nacht hatte sie den Schock soweit überwunden, daß sie wieder vernünftig denken konnte.
    Sie „kommunizierte“ nun schon seit über vier Jahren mit Gott – und mit sonst keinem. Ihr war die verronnene Zeit gar nicht aufgefallen. Ihr war zumute, als hätte sie hundert Lebensspannen der Wissensaufnahme hinter sich, und das tat ihr nicht leid, aber sie hatte so vieles verloren! Das Gefühl für die Zeit, ihre Religion, ihren alten Brutschützer, ihre Brutgefährten und Freunde. Und nicht zuletzt ihren angemessenen Platz in der Gesellschaft …
    Und dabei wollte ich immer nur in der Stadt Gottes leben und im Chor singen, dachte sie. Ich wollte nur die einem Diener zustehenden Ehren, um Gottes willen, ich wollte niemals eine Hohe Herrin sein!
    Ja. Um Gottes willen. Um Himmelssängers willen.
    Und während sie mit anderen Dingen beschäftigt gewesen war, war ihr Brutschützer gestorben – zum Ruhme Gottes. Und Rot …
    Er wollte überhaupt nie ein Fischer sein! Er fürchtete sich so sehr davor! Und nun hatte er sich ganz jenem geheimnisvollen Zwang ergeben, der so vielen, die der Dienerschaft beitreten wollten, zum Verhängnis wurde, der „Wildheit“, die er so verabscheut hatte.
    Wie hatte sie nur zulassen können, daß ihr Leben in solchen Bahnen

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