Verraeterisches Herz
1. KAPITEL
Die Atmosphäre in der Stadt wirkte wie elektrisch aufgeladen. Auch Alicia Cross spürte ein Kribbeln in ihren Adern, als sie sich den walisischen Rugbyfans anschloss, die ins Millennium Stadion von Cardiff strömten. Wie immer waren sie zu Tausenden angereist, um ihre Helden lautstark zu unterstützen. Gewann Wales heute gegen Italien, war der Sieg im Six Nations Turnier zum Greifen nah.
Wochen voller Arbeit lagen hinter Alicia. Unermüdlich war sie für die PR-Firma, für die sie arbeitete, unterwegs gewesen und hatte Partys und Pressetermine rund um das Turnier organisiert. Den heutigen Nachmittag hatte sie sich freigenommen, um sich mit ihren Freunden das Spiel anzusehen.
Anstatt also mit einem der Sponsoren in der VIP Lounge zu sitzen, befand sie sich endlich auf dem Weg zu ihrem Platz auf der Tribüne. Sie war reichlich spät dran. In ihrer Hektik wäre sie beinahe mit einem Mann zusammengestoßen, der sich ihr unvermittelt in den Weg stellte. Gerade wollte sie sich entschuldigen, da wich alle Farbe aus ihren Wangen. Hastig wirbelte sie herum, doch der Mann reagierte blitzschnell und griff nach ihrer Hand. Nur weil sie sich der neugierigen Blicke der Umstehenden bewusst war, hielt Alicia still. Ihr Herz pochte wie wild, als sie den Kopf hob und in das atemberaubend attraktive Gesicht des Mannes schaute, der einst ihre romantischen Mädchenträume in dunkle Albträume verwandelt hatte.
„Alicia“, sagte er.
Zu ihrem größten Entsetzen musste sie feststellen, dass der Klang seiner samtigen Stimme ihr immer noch Schauer über den Rücken sandte. Ihre Blicke trafen sich. Einige Sekunden hielt sie seinen von dunklen Lidern überschatteten Augen stand, dann entriss sie ihm ihre Hand.
Aber Francesco da Luca fasste nach ihrem Ellenbogen. „Warte, Alicia. Ich muss mit dir sprechen.“
Schweigend starrte sie ihn mit blitzenden Augen an. Ein paar verspätete Fans eilten pfeifend an ihnen vorbei. Francesco fluchte leise und ließ sie los.
„Glaubst du wirklich, du entkommst mir so leicht, Alicia?“
Die unterschwellige Drohung ließ sie den anderen Fans nachjagen, als sei der Teufel hinter ihr her. Lärm, laute Musik und das fröhliche Geschrei von Menschen umfing sie, als sie die Stufen hinunter in Richtung ihrer Sitzreihe stürmte. Glücklicherweise sprang Gareth Davies rechtzeitig auf, sodass sie in seinen Armen landete.
„Langsam! Du brichst dir noch den Hals!“
„Wo warst du?“, fragte Megan ungehalten, während ihr Bruder Alicia auf den Platz zwischen ihnen bugsierte. „Die Mannschaften laufen gleich auf … Heh, was ist denn los?“
„Lass mich erst mal Luft holen.“ Sie beugte sich vor und begrüßte Megans Ehemann mit einem freundlichen Lächeln. „Hallo, Rhys.“
„Geht es dir gut?“, fragte er.
„Ja, alles in Ordnung.“
„So siehst du aber gar nicht aus“, mischte Gareth sich ein.
Alicias Antwort ging in dem Jubel unter, mit dem die italienischen Fans ihre Mannschaft empfingen. Dann pfiffen und applaudierten auch alle anderen, als der Schafsbock Billy Wales, das berühmte Maskottchen des walisischen Teams, aufs Feld geführt wurde. Ihm folgte der Kapitän, der einen kleinen Jungen in einem roten Trikot an der Hand hielt. Danach schritten auch die anderen Spieler, jeweils begleitet von einem glücklichen Kind, ins Freie und nahmen auf dem Feld Aufstellung.
Die Band stimmte die italienische Nationalhymne an, die von den angereisten Fans begeistert mitgesungen wurde. Dann jedoch senkte sich einen Moment absolute Stille über das Stadion. Die ersten Takte der walisischen Hymne erklangen. Und jeder walisische Mann, jede Frau, jedes Kind, sang stolz und ergriffen die alten Worte.
Die Musiker verließen das Feld, der Schiedsrichter pfiff das Spiel an, und ab diesem Moment tobten die Zuschauer. Alicia klatschte und schrie mit den anderen. Ein wahres Crescendo brach los, als es dem walisischen Stürmer gelang, den Angriffen der italienischen Verteidiger auszuweichen und den Ball mit einem Hechtsprung hinter der gegnerischen Linie abzulegen.
Doch während des gesamten Spiels, auch wenn sie und Megan einander vor Begeisterung über einen besonders guten Treffer in die Arme fielen, empfand sie eine gewisse Betäubung.
Endlich ertönte der Abpfiff. Wales hatte das Spiel gegen die Italiener haushoch gewonnen. Das Publikum war außer sich. Niemand verließ das Stadion. Fast ekstatisch verabschiedete die Menge die Spieler mit frenetischem Applaus.
„Großartig“, sagte Alicia
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