Analog 4
gibt es davon vielleicht ein Dutzend. Domingo Montoya ist der einzige von ihnen, der unter den Lebenden weilt.“ Ich nahm einen hastigen Schluck irischen Whiskey. „Das heißt, um genau zu sein – er ist vor fünf Jahren gestorben.“
„Was du nicht sagst.“
Der schnelle Eddie stopfte sich die Pistole in seinen Hosenbund und setzte sich auf seinen Klavierschemel. „Er ist nicht gestorben“, sagte er und bestellte bei Callahan einen Rum. „Er ist in den Untergrund gegangen.“
Ich nickte. „Ich glaube, ich verstehe.“
Longdrink schüttelte den Kopf. „Ich nicht.“
„Okay, Drink, überlege einmal einen Augenblick. Versetz dich in seine Lage. Du bist Domingo Montoya, der letzte lebende Gitarren-Zauberer. Und alles, was sie dir an Arbeit bringen, ist Scheißdreck. Auf dem gesamten Planeten gibt es vielleicht fünfzig oder hundert Gitarren, die deiner Aufmerksamkeit wert sind. Die meisten davon hast du selbst gebaut, und sie werden von sorgfältigen und reichen Besitzern gut versorgt. Und in der Zwischenzeit kommen immer wieder die Deppen mit ihrem zerbrochenen Spielzeug, mit ihrem von Maschinen geprägten Dreck, zur Tür herein und bitten Paul Dirac, ihre Physikhausaufgaben für sie zu erledigen. Alberne Adlige, die eine Gitarre wollen, die auf dem Hals den Namen ihrer Geliebten in Juwelen trägt; idiotische Rockstars, die eine Gitarre wollen, die wie ein Dosenöffner aussieht; dumme reiche Kinder, die von dem Mann, den jeder als den letzten lebenden Zauberer kennt, ein Griffbrett in Leuchtfarben an ihre dummen Martins und ihre dummen Goyas angebaut bekommen wollen. Niemand will heute mehr den Preis für gutes, echtes Material bezahlen, niemand will so lange warten, wie echte Qualität das erfordert, jeder will sein gottverdammtes Spielzeug vergoldet haben, und trotzdem kannst du sie auch mit einer Keule nicht von dir fernhalten, weil du Domingo Montoya bist. Du verdreifachst deinen Lohn, und dann verdreifachst du ihn noch einmal, und das Resultat multiplizierst du mit sich selbst, und sie kommen weiter mit ihrem dummen, zerbrochenen Mist – oder, noch schlimmer, sie kaufen eines deiner handgebauten Meisterwerke und benutzen es unehrenhaft, erweisen ihm nicht die gebührende Ehre, behandeln es wie irgendein Alltagsgerät.“ Ich sah Montoya an. „Kein Wunder, daß er sich zurückgezogen hat.“
Montoya sah auf. „Ich habe mich nicht zurückgezogen. Wenn Gott es gut mit mir meint, wird das nie geschehen. Ich verkaufe aber meine Fertigkeit und ihre Ergebnisse nicht mehr, und ich verwende einen anderen Namen. Ich hatte es für unmöglich gehalten, daß mich jemand findet.“
„Und wie …“
„Vor zwei Jahren habe ich einen Lehrling angenommen.“ Meine Augenbrauen hoben sich; ich hätte nicht gedacht, daß es jemanden gab, der würdig wäre, Montoyas Schüler zu werden. „Er ist ungeduldig, und die heitere Gelassenheit fehlt ihm, aber das wird beides im Alter heilbar. Er ist nicht ungeschickt, und seine Einstellung ist gut.“ Er sah Eddie wütend an. „War gut. Er hat mir Geheimhaltung geschworen.“
„Ich bin mit ihm in die Schule gegangen“, sagte Eddie. „Jahrgang dreiundachtzig. Er mußte es einfach jemandem erzählen.“
„Ja“, sagte Montoya und nickte langsam. „Ich glaube, ich verstehe, warum das geschehen ist.“
„Er ist in seine alte Heimat zurückgekehrt, weil er seine Mutter besuchen wollte. Ich habe ihn auf der Straße getroffen, wir sind in eine Kneipe gegangen, und es dauerte gar nicht lange, bis er mir die ganze Geschichte erzählte und auch, daß er in seinem ganzen Leben noch nie so glücklich war. Er hat mir gesagt, ich solle Sie doch einmal in Ohio besuchen, und dann hat er mir Ihre Adresse gegeben.“ Eddie sah auf die Pistole in seinem Gürtel herunter und machte ein dümmliches Gesicht. „Wahrscheinlich hätte ich das nicht tun sollen.“
Montoya sah ihn an, dann Lady Macbeth und dann mich. Er musterte mich sorgfältig, und zu meiner Erleichterung bestand ich die Prüfung. „Es ist ja nichts passiert“, sagte er zu Eddie, und ich bemerkte zum erstenmal, daß er nur einen Pullover, einen Schlafanzug und Hausschuhe trug.
Die Ungeduld, die Frage zu stellen, ließ mich schier zerspringen, aber ich konnte sie nicht stellen, ich hatte Angst davor, und das muß sich in meinem Gesicht gezeigt haben, zumindest für einen so scharfen Blick, wie er ihn besaß, denn plötzlich trat ein Ausdruck von Bedauern und Mitleid in sein Gesicht. Mein Herz zog sich
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