Analog 4
Endlich stand ich vor einer Tür. Ich trat sie auf, und da war er, wie er gerade eine Nachttischlampe anschaltete.
„Ich weiß es“, sagte ich. „Zum Lügen ist jetzt keine Zeit.“ Pjotr versuchte, einen verständnislosen Gesichtsausdruck aufzusetzen, aber das mißlang ihm, und dafür war wirklich keine Zeit.
„Du trinkst kein Blut, du filterst es.“ Er wurde blaß vor Schreck. „Ich kann mir sogar vorstellen, wie es gekommen sein muß, dein Verhalten bei Callahan, meine ich. Als du zum erstenmal in die Staaten kamst, bist du sicher in New York gelandet und hast einen Job bei der Blutbank bekommen, stimmt’s? Du holst dir nur ein wenig Nahrung aus einer Menge von Blut, und du kannst dich ernähren, ohne den Patienten, die eine Transfusion bekommen, wirklich Anämie zu geben. Ein ehrenhafter Vampir mit einer Verdauung, die mit Fleischbrühe Schwierigkeiten hat. Ich wette, du hast auch lange Eckzähne wie die Vampire im Film – nicht weil ihre Größe beim Blutablassen Vorteile bringt, sondern weil sie einige verdammt ungewöhnliche Drüsen enthalten. Du versenkst sie in fremdes Blut und filterst die Nährstoffe heraus, die es in gelöster Form mit sich führt. Du konntest nur nicht wissen, wie sie in New York ihr Blut bekommen, wer der typische Spender ist, und bevor du das herausbekommen hast, war es zu spät, und du warst ein steinharter Alkoholiker.“ Ich redete im Zeitraffer, aber ich konnte sehen, daß jeder Schuß ein Treffer war. Ich hatte keine Zeit dazu, mich um seine Not zu kümmern. Ich packte ihn, zerrte ihn aus dem Bett und warf ihm seine Kleider zu. „Das ist aber im Augenblick scheißegal! Du kennst doch den jungen Tommy Jansen? Er liegt einen halben Block weiter mit ungefähr drei Flaschen Schnaps im Leib, und die letzten beiden davon hat er ex ausgetrunken. Du bewegst also jetzt deinen knochigen transsylvanischen Arsch, oder ich trete ihn dir von deinem Rückgrat weg, verstehst du mich? Los, beeil dich, verdammt noch mal!“
Er verstand mich sofort und zog ohne ein Wort seine Kleider schnell genug für meinen Geschmack an. Einen Augenblick später rannten wir zusammen aus der Tür hinaus.
Der Sprint über den halben Block ließ mir genug Zeit, mir zu überlegen, wie ich die Sache über die Bühne bringen könnte, ohne Pjotr bloßzustellen. Es war die völlige Schwärze der Nacht, die die Idee in mir aufkommen ließ. Als wir zu Callahan kamen, rannte ich weiter um die Kneipe herum in den Hinterhof und rief ihm zu, er solle mir folgen. Als wir durch die Tür zum Hinterzimmer stürzten, suchte ich den Hauptschalter und warf ihn herum. Danach riß ich noch ein paar Sicherungen heraus, um kein Risiko einzugehen. Die Lichter gingen aus, und der Kühlschrank stellte sein Seufzen ein. Glücklicherweise brauche ich kein Licht, um in Callahans Kneipe meinen Weg zu finden, und gute Nachtsicht muß für eine Person mit der grundsätzlichen Mutation Pjotrs eine günstige zusätzliche Adaption bedeutet haben. In Sekunden hatten wir ohne einen Laut den Hauptraum erreicht.
Zumindest im Vergleich zu dem Stimmengewirr, das dort herrschte; jedermann brüllte zur gleichen Zeit herum. Ich rannte in der Dunkelheit in Callahan hinein – ich sah, wie der glühende Punkt seiner Zigarre an meiner Wange vorbeiglitt –, hielt ihn fest und flüsterte ihm ins Ohr: „Mike, vertrau mir. Du findest die Kerzen nicht, die du hinter der Bar aufbewahrst. Und mach das Fenster auf.“
„In Ordnung, Jake“, sagte er sofort ruhig und bewegte sich in der Dunkelheit von mir weg. Nachdem das Fenster offen war, gingen Streichhölzer sofort wieder aus, nachdem sie angesteckt worden waren. Beim Schein dieser Versuche, Streichhölzer anzuzünden, sah ich, daß Tommy an der gleichen Stelle auf der Bar lag, wo gestern Lady Macbeth gelegen hatte, und ich sah, daß Pjotr ihn erreichte.
„Zuhören, Leute!“ brüllte ich, so laut ich konnte, und es wurde still.
Ich will verdammt sein, wenn ich mich noch daran erinnere, was ich gesagt habe. Ich denke, ich sagte ihnen, daß der Doc unterwegs sei, ich erfand eine Geschichte von einem Stromausfall, ich erzählte ein paar Lügengeschichten über Leute, die mit zweimal so viel Alkohol im Blut überlebt hatten, und solche Dinge mehr. Ich weiß nur noch, daß ich sie allein durch die Kraft der Persönlichkeit, die aus meiner Stimme klang, festnagelte und ihre Aufmerksamkeit während der vier oder fünf Minuten, die mein flammender Monolog anhielt, ganz allein auf mich konzentrierte.
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