Analog 6
aufgeregt miteinander. Cal stand vor ihnen und fluchte und bettelte abwechselnd. „Warum erinnert ihr euch denn nicht? Warum fragt ihr mich immer wieder dieselben Sachen. Warum fragt ihr mich überhaupt? Hört mir bitte einmal zu!“ Mehrere Rosaner hatten ihre Stützen verlassen und scharten sich um das Podest.
Etwa ein Dutzend Rosaner hatten gesehen, wie Sorrel den Raum betrat, und jetzt eilten sie ihm entgegen. „Mensch Everwood, was sollen wir tun?“ fragten sie mit unruhig flackernden Augen.
„Gar nichts“, antwortete er grimmig. „Achtet darauf, daß kein Rosaner ihn berührt. Ich werde so schon genug Schwierigkeiten mit ihm haben.“ Er sprach Wandra an. „Verstehst du dich aufs Boxen?“ fragte Sorrel auf Anglisch.
„Einen braunen Gürtel in Modkido habe ich. Wie steht es mit dir?“ Sie stieß ein kurzes, rauhes Lachen aus.
Er schüttelte den Kopf. „Ich fürchte, ich bin für so etwas zu alt. Ich werde ihn ablenken, und du schnappst ihn dir. Ich wünschte, uns ständen noch ein paar Leute zur Verfügung, doch wenn die Rosaner ihn anrühren, dreht er völlig durch.“
„Sie würden sich sowieso nur dabei verletzen“, bemerkte sie, während sie langsam auf das Podium zugingen. „Sie sind einfach zu zart gebaut.“
„Cal!“ schrie Sorrel durch den Lärm. „Soeben ist eine Fähre von Neuterra gelandet! Sie haben eine Nachricht für dich!“
Cal stutzte. „Was gibt’s denn?“
Wandra stürzte sich auf ihn, beide fielen zu Boden, und Sorrel eilte herbei, um Wandra zu helfen. Der Kampf dauerte nur wenige Augenblicke, dann lag Cal geschlagen und schluchzend unter ihnen.
„Sollen wir ihn zu seiner Höhle bringen?“ fragte Wandra.
Sorrel schüttelte den Kopf. „Auf’s Schiff. Wir sollten ihm soviel menschliche Umgebung wie möglich bieten. Er leidet unter einem klassischen Kulturschock.“
Sie zogen ihn hoch und schleppten ihn auf den Ausgang zu. „Klassischer Kulturschock? Bisher habe ich noch nie gehört, daß jemand wegen eines Kulturschocks dummes Zeug stammelt.“
„Na ja, dann eben ein fast klassischer Kulturschock“, schnaubte Sorrel. „Du mußt doch zugeben, daß diese Kultur einem durchaus einen Schock versetzen kann.“ Er biß sich auf die Lippen, und gemeinsam zerrten sie Cals schlaffen Körper zum Schiff.
Sorrel hatte noch nie eine Praxis als Psychologe unterhalten, jedenfalls nicht in dem Sinne, daß er ein Schild an seiner Tür befestigt und nach verlorenen Seelen gesucht hätte. Und doch schien nun eben darin seine Hauptaufgabe auf dieser Reise zu liegen. Vielleicht hatte Balcyrak im voraus damit gerechnet.
Der Psychologe atmete tief ein, blieb aber sonst professionell ruhig. Offensichtlich hatte der Tod einer Rosanerin diese Krise ausgelöst. Sorrel verwünschte sich, weil er gedacht hatte, Cals Hochmütigkeit würde ihn schützen. Sie hatte ihn aber nur noch verwundbarer gemacht, nachdem einmal die Schale durchbrochen war.
Im Augenblick saß Sorrel schweigend neben Cal, der auf einer Ruhecouch lag und seine Seele enthüllte. Freud hätte seine helle Freude an der Szene gehabt, doch Sorrel erging es anders. Es hatte ihn große Mühe gekostet, Dor Laffs Namen herauszubekommen, und Cal hatte sie noch immer nicht als Ursprung seines Leidens erkannt. „Ist das das einzige Problem, das du mit den Rosanern hast, Cal? Bist du sicher?“
Cal nickte. „Ich kann es nicht ertragen. Jeden Tag lehre ich sie die gleichen Sachen, immer und immer wieder, und es sind immer andere Gesichter.“ Der letzte Satz endete in einem Schreckenslaut. „Immer neue Gesichter, niemals zweimal dieselbe Person!“ Er wimmerte. „Bitte, laß mich nur einen Studenten zweimal unterrichten!“
Sorrel schüttelte den Kopf. „Erinnern sie sich denn an nichts? Niemals an irgend etwas von einem Tag zum nächsten? Nur eine Sache vielleicht? Fällt dir gar nichts ein?“
„Nun … ein paar Dinge, vielleicht … Nicht viel. Immer die gleichen Fragen.“
Wandra klopfte an die offene Tür der Kabine. Sorrel bedeutete ihr einzutreten. „Wie geht es ihm, Herr Doktor?“ fragte sie. Sie versuchte, ihrer Stimme einen beiläufig, fröhlichen Klang zu geben.
„Cal geht es so gut wie immer, natürlich. Trotzdem denke ich, daß ich den Rest des Tages hierbleiben werde. Kannst du die Kurse allein übernehmen?“
Sie nickte. „Mit ein paar Stimupillen schaffe ich das schon.“
„Darauf möchte ich keine Wette eingehen. Wahrscheinlich muß Cal demnächst durcharbeiten, während du auf der Couch
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