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Anarchy in the UKR

Anarchy in the UKR

Titel: Anarchy in the UKR Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serhij Zhadan
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Bahnsteig zurück. Er verschwindet hinter den fernen Signalen, aber das Bahnhofsleben hält keinen Augenblick inne, es geht mit voller Kraft weiter und atmet im Gleichklang mit Hunderten von Eisenbahnern und Streckenarbeitern, die den harmonischen und störungsfreien Lebensrhythmus der Eisenbahn, die lange, sorgenfreie Reise aller fröhlichen Wanderer dieses Landes garantieren. Die rote Sonne fliegt über das Bahnhofsgebäude, kickt einen Straßenfußball auf die Bahnsteige und rollt westwärts.
    Tagelange Fahrten, ohne Wasser und Schlaf, Festsitzen an namenlosen Haltepunkten, der schwarze Hunger im nächtlichen Dritte-Klasse-Wagen, das schwarze Wasser der Bahnstrecken, von Sonne und Wodka verbrannte Schaffnerseelen, die bluttriefenden Träume der Mitreisenden und die kaputte Infrastruktur – ich liebe die Eisenbahn, ich liebe sie so sehr, daß ich Bücher über sie schreiben könnte, in meinen Eisenbahnbüchern gäbe es massenhaft Beispiele aus dem wirklichen Leben, die Haupthelden zeichneten sich durch eine sonderbare Ausdauer und Hartnäckigkeit aus, sie zwängten sich durch die dichtesten Luftabschnitte, durch die festesten Raumklumpen, diese Helden würden unterwegs sterben, wie sich das für richtige Helden gehört. Kein Halt, nicht die kleinste Pause, eine richtige Reise braucht kein Ziel und keinen Endpunkt, Hauptsache fahren, immer vorwärts, so weit die Schienen reichen, die Grenzen der Eisenbahn austesten, und sei es nur, um zu überprüfen, wer zuerst aufgibt und auf den kalten Asphalt des nächsten Bahnhofs springt, wer als erster den Glauben an eure Reise verliert, na los, stell deine Freunde auf die Probe, wer von ihnen hat es wirklich drauf, wer hält es bis zum Schluß aus, und wie sieht er aus, dieser Schluß.
    Gesichter, die hinter dem Fenster auftauchen, Personen in unmittelbarer Nähe, nicht weiter als eine ausgestreckte Hand, Stimmen, denen du lauschst und die du nicht ganz verstehst, Augen, mit denen dein Leben auf dich schaut, grüne, leicht zusammengekniffene Augen. Kein Ziel, kein Grund, keine Folgen, fahren, auf dem Weg bleiben, der sich aus deiner Bewegung, deinem endlosen, sich selbst genügenden Umherziehen ergibt – aus dem Nirgendwo ins Nirgendwo, eine ungewisse Zeitdauer in ungewisser Richtung mit ungewissem Zweck, schwarz-schwarzer Tourismus, dessen Ziel das ständige Bedürfnis nach Bewegung ist – der Himmelsschaffner knipst deine Fahrkarten, die Seelen aller Heiligen fliegen dir nach, die Zeit ist dazu da, daß du sie totschlägst.
    Wenn du mit dem Zug in einer Stadt ankommst, gehst du durch die hohen Türen des Hauptgebäudes, der Stalinbau der Nachkriegszeit wölbt sich leicht über dir, du trittst auf den Bahnhofsvorplatz, nimmst ein Taxi ins Zentrum. Die langerprobte Reinigungsprozedur in den Filtern und Fegefeuern einer fremden Stadt sieht das Durchschreiten der Bahnhofstür vor, Bahnhof bedeutet ohnehin viel mehr, als es auf den ersten Blick scheint, auch wenn er an die Peripherie des Stadtplans verbannt wurde, man muß immer hinfinden, das erfordert eine gewisse Anstrengung, aber dort nehmen dann die interessantesten und bittersten Dinge ihren Anfang, hierher trägt der Maiwind den zufälligen wilden Samen, aus dem schließlich das ganze Grün deiner Welt wächst, dieser Ort birgt alle Wörter und Wortverbindungen, die du brauchst, denn es ist Mutter Eisenbahn, der grüne Himmel über deinem Kopf, zerfetzte Wortverbindungen unter dem grünen Himmel.
    Gegen ein Uhr nachts brachte ich den Ball an. Er war kaum noch zu gebrauchen, eine totale Krücke, die schon ewig über den Asphalt gedroschen worden war. Aber einen anderen gab es nicht. Am schlimmsten war jedoch, daß er noch aufgepumpt werden mußte, sonst hatte das Ganze gar keinen Sinn, und Sinn sollte es doch haben – zu viele Augen beobachteten uns, zu viel hing davon ab, ob wir spielen würden oder nicht – ein Uhr nachts, bei minus 15 Grad, auf dem verschneiten Majdan in Charkiw. Das war so eine Art Todesspiel oder eher Lebensspiel. Wir gingen zu den Taxifahrern. Die Taxifahrer waren auf unserer Seite. Wir fingen an zu pumpen, etwa in der zwanzigsten Sekunde platzte der Ball. Ich an seiner Stelle hätte es ehrlich gesagt auch so gemacht. Wir standen mitten auf dem Platz mit dem geplatzten, eiskalten Ball, aus unseren Lungen entwich der letzte Rest Wärme, wir waren am Boden zerstört, denn all das hatten wir nur für den Fußball getan, um nachts um eins ungehindert den Ball über den zentralen Platz der Stadt zu

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