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Anarchy in the UKR

Anarchy in the UKR

Titel: Anarchy in the UKR Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serhij Zhadan
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unbemerkt wie Haie den Tankern, in denen Hunderte boat people sitzen. Nur daß ich ihnen keine Gelegenheit gebe, mich zu verschlingen, keinen Augenblick lang vergesse ich die Gefahr, die von ihnen ausgeht. Aber anders als ich haben sie das Warten gelernt.
    Ich war seit neun Jahren nicht mehr in New York. Ich habe hier überhaupt keine Bekannten mehr – meine früheren Freunde sind entweder weggezogen oder gestorben, die meisten waren schon älter und hatten eine heftige Biographie. Vor neun Jahren sind in meinem Leben plötzlich eine Menge neuer Leute aufgekreuzt, die ich merkwürdig fand und nicht verstand, sie lebten hier, und ich habe sie mit der Stadt assoziiert, für mich gehörten sie hierher. Ich hatte keine Adressen von ihnen und auch nicht die geringste Lust, sie wiederzusehen – wenn du in einer Unterhaltung eine Pause von neun Jahren gemacht hast, kannst du danach höchstens von vorn anfangen, wie käme das sonst rüber, wenn du einen nach neun Jahren wieder triffst und fragst, was es Neues gibt? Neues in welcher Hinsicht? In den vergangenen neun Jahren? Da müßte man ja bei seiner Geburt anfangen, damit der Zusammenhang sich herstellt. Das ist, glaube ich, hoffnungslos.
    Aus der Zeit erinnere ich mich noch gut an Jarema und seinen jüngeren Bruder. Das war der letzte Abend in New York, wir hatten uns ganz schön zugelötet, da tauchten Jarema und sein Bruder auf, oh, sagte ich, du siehst aus wie Morrison, Morrison find ich gut, antwortete er, und das ist auch schon alles, was ich noch weiß. Sein Bruder war damals in der Dusche oder im Klo abgeklappt, vielleicht auch hier und dort. Wie hätte ich sie vergessen können – wir hörten eine MTV-unplugged von Neil Young und tranken scheußliches amerikanisches Bier.
    Hallo, sagte er zu mir, kennst du mich noch? Hallo, antwortete ich zögernd, klar, weiß nur nicht mehr, wie du heißt. Jarema, sagte er. Weißt du noch, wie du damals hierher kamst und wir uns betrunken haben und du gesagt hast, ich sähe Morrison ähnlich? Ja, sagte ich, weiß ich noch. Ich erinnere mich auch noch an deinen Bruder, der ist im Klo abgeklappt. In der Dusche. Ach ja, in der Dusche. In den neun Jahren hatte Jarema sich beinahe nicht verändert. Und ich? Keine Ahnung. Los, betrinken wir uns doch wieder, schlug ich vor. Okay, er war einverstanden, wie wär’s mit Donnerstag – ich brenn dir gute Musik. Gut, sagte ich. Na, was hab ich zu Anfang gesagt?
    Jarema kam mit einem riesigen Auto und brachte mir an die dreißig CDs mit, fast alles Musik aus den späten Sechzigern und frühen Siebzigern, von einigen Alben hatte ich nur gehört, zu Hause kriegte man die einfach nicht. Ich brenn dir Musik von hier, hatte er versprochen, hier gibt’s eine Menge Gruppen, die treten in den Klubs auf, werden von den lokalen Sendern gespielt, außer in Manhattan kennt die kaum einer, ist wirklich coole Mucke. Was sind denn das für lokale Sender? wollte ich wissen. Erzähl ich dir später, sagte er, und wir fuhren in einen bulgarischen Klub, in die Eugene-Disko.
    Die Eugene-Disko bestand darin, daß Eugene kam und auflegte, was er gut fand. Das war irgendwie das Qualitätsmerkmal, der Klub war voll von Bulgaren, Zigeunern, sowjetischen Juden und einfach Juden, Eugene legte hauptsächlich Ska und Zigeunerfolk auf, im Fernseher über der Bar liefen seine Auftritte mit Gogol Bordello, die Bulgaren rochen nach Bier. Nach vierzig Minuten fuhren wir woandershin, los, hauen wir ab, sagte Jarema, ich kenne hier noch einen andern Klub, den betreibt der ehemalige Besitzer des Radiosenders, von dem ich dir erzählt habe, dort wird auch nur dessen Lieblingsmusik gespielt, schon deshalb müssen wir hin. Das ist gut, dachte ich, daß jeder seine Lieblingsmusik spielt. Hauptsache, sie reicht für alle.
    Der Sender lebte lange Zeit nur von Spendengeldern. Jedes Jahr wurde eine Sammelaktion unter den Hörern veranstaltet, jeder gab, was er für angemessen hielt, die Besitzer des Senders erklärten – wenn ihr uns noch ein Jahr hören wollt, gebt uns Kohle, wir brauchen nicht viel, nur daß wir alle wichtigen Rechnungen bezahlen können. Sie spielten so gute Musik, daß es ihnen jedes Jahr gelang, das nötige Geld aufzutreiben. Ich war beeindruckt, so muß es sein, dachte ich. Das sind echt kommunistische Prinzipien für die Existenz eines Musikraums. Der Besitzer des Senders, erzählte Jarema weiter, hat selbst ein Programm moderiert, ich habe sie immer gehört, erzählte er, sie haben nur gute Musik gespielt,

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