Anarchy in the UKR
sich und bleiben hier sitzen, bis bessere Zeiten anbrechen. Da kann man aber lange sitzen, sagte ich. Aber theoretisch, stimmte er zu, besteht doch eine gewisse Hoffnung.
Es ist unschwer zu erraten, daß unsere Städte in ihren Schößen, ihren Körpern eine Unmenge an zusätzlichen Einrichtungen und Hebeln bergen; wenn du die vertraute Architektur aufmerksam betrachtest, entdeckst du plötzlich staunend an völlig unerwarteten Stellen unterirdische Gänge und Feuerleitern, die zu Artillerieplätzen führen. Die Stadt muß in der Lage sein, sich zu verteidigen, selbst unter Friedensbedingungen muß sie um das eigene Leben kämpfen können, vom Atomschlag ganz zu schweigen. Dieses plötzliche Wissen um die geheimen Mechanismen der städtischen Infrastruktur raubt dir für lange den Frieden und den gewohnten Blick auf vertraute Dinge. Die U-Bahn, die lange Charkiwer U-Bahn, in der man sich im Dezember so herrlich wärmen kann, strahlt keine Sicherheit und Unbeschwertheit mehr aus, plötzlich tauchen an den Wänden furchtbare chirurgische Schnittstellen auf, hinter denen sich Notausgänge verbergen, hinter denen zu gegebener Zeit Bestien in den Korridoren lauern, infizierte Tiere und Bodenvögel, die längst nicht mehr fliegen können und im Notfall auch nicht wissen, wohin.
Unter keinen Umständen fahre ich bei einem Bombenangriff in den Metrotunnel hinunter, ich weiß jetzt schon, wie das endet, da kommt nichts Gutes raus, nehmen wir nur die Berliner U-Bahn im Jahre ’45, die von dem zusammengebrochenen Regime zu guter Letzt noch fleißig geflutet wurde. Was sollten diese überflüssigen und völlig übertriebenen Szenen, woran haben sie gedacht, als sie das Wasser in die Tunnel mit den Zügen laufen ließen? Wenn eine Armee an einer Frontlinie geschlagen wird, ist das eine Sache, das muß man zumindest von Anfang an einkalkulieren, dafür ist eine Front ja da, wenn ich das richtig verstehe, aber die Bevölkerung an den zentralen U-Bahn-Stationen Berlins, was haben die damit zu tun, in einem Film macht sich so etwas gut, da pumpt sich der Hauptheld zuerst Luft in die Lungen, taucht dann durch den kalten, gefluteten Tunnel, um an der nächsten Station wieder hochzukommen, in einem teuren Kassenfilm packt er das natürlich auch, kämpft sich durch den dunklen, schier endlosen Tunnel, stößt sich im dunklen Wasser mit den Füßen ab, er hat noch seine Schuhe an, was ihn in seinem Spurt behindert, aber keinesfalls aufhalten kann, er schwimmt durch die leeren Waggons, schaut in die Fenster, studiert die Metropläne an den Wänden, um sich im eiskalten Wasser bloß nicht zu verirren und vielleicht noch das Filmbudget zu versauen; wenn ihm dann langsam die Luft ausgeht, sieht er weit vor sich, hinter Dorschrücken und grünen Algen, die Lichter der nächsten Station, die die Faschisten noch nicht vollständig eingenommen haben, und sein Körper schießt aus dem Dunkel direkt auf den Bahnsteig und rettet sich vor dem Tod im schwarzen, kalten Metrowasser. Diese Station wird aber auch gleich geflutet, und du kannst tauchen, dich vorwärts kämpfen, die runden Meeresminen mit den schwarzen Dornen von dir wegstoßen, wie du willst, sie ziehen dich trotzdem hinab auf den Grund, wo weder Licht noch Leben ist, wo kalter Stein liegt und wohin die Stahlbetonbrocken vom Stationsbau und Teile von schwarzen Kreuzern absinken, die in diesem trüben, gefährlichen Wasser abgeschossen wurden. Anstelle nach unten zu fahren, die Rolltreppe zu betreten, um unten, in der Tiefe, auf bessere Zeiten zu warten, kannst du auch eine andere Variante wählen, vielleicht wäre es besser, oben zu bleiben, zur Feuerwehr zu gehen, einen speziell imprägnierten Anzug in Empfang zu nehmen und auf dem höchsten Gebäude der Stadt Wache zu halten, Brandbomben abzufangen und sie in Eimern mit schmutzigem Wasser zu löschen, vielleicht lohnt es sich, dort zu bleiben, unter dem Himmel, auf der Feuerleiter zu stehen, in den Himmel voller Drachen zu sehen und dein persönliches down town vor der Okkupation zu bewahren.
In der Dunkelheit hast du keine Chance, dich zu retten, eine Chance hast du nur dort, wo es Licht gibt und frische Luft und Gras, im Gras ist es überhaupt ein einziges Vergnügen, sich zu retten, nicht zu vergleichen mit den städtischen Katakomben und ihren Galerien und langen Übergängen von einer Station zur nächsten, auf den ersten Blick ist sie wirklich ruhig, die Metro, im Sommer kühl und im Herbst warm, tagsüber immer voller
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