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Anarchy in the UKR

Anarchy in the UKR

Titel: Anarchy in the UKR Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serhij Zhadan
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jagen. Und was nun?
    Sie kamen in ihrem protzigen Riesenjeep angefahren, leuchteten mit Dutzenden Scheinwerfern und Lampen, hupten wie verrückt. Es war sofort klar, daß sie auch für uns waren. Sie drehten eine Ehrenrunde und hielten an. Jungs, äugte der Fahrer aus dem Auto, wir sind sozusagen für euch. Cool, sagten wir. Wir sind auf eurer Seite, fügte er hinzu, um auch die letzten Zweifel zu beseitigen. Danke, antworteten wir unzufrieden, was kamen die hier mitten in der Nacht angeschissen? Braucht ihr vielleicht was? Nein, danke, alles okay, sagten wir. Wodka vielleicht? der Fahrer war hundert Pro für uns. Nein, Wodka nicht. Heute nicht. Was braucht ihr denn? Nichts – wir nahmen ihm die letzte Chance. Dann mach ich euch ein bißchen Licht, damit ihr es nicht so dunkel habt, sagte er. Gut, Licht ist super, stimmten wir zu. Hör mal, Kumpel, kam mir plötzlich ein Gedanke, wir brauchen einen Ball. Was für einen Ball denn? der Fahrer schnallte es nicht. Einen Fußball. Er schaltete die Scheinwerfer ab und stieg beunruhigt aus seinem Jeep. Nüchtern ist er natürlich nicht, dachte ich, aber das konnte man auf die Revolution schieben. Sein Kumpel blieb gleich im Auto sitzen, der versuchte erst gar nicht, seinen Zustand zu verbergen, und döste in seinem Delirium vor sich hin. Wie jetzt, fragte der Fahrer, im Ernst? Na ja, sagte ich zu ihm, du siehst doch, unsrer ist hin. Und wir müssen doch noch spielen. Besorg uns einen, sei ein Kumpel. Wo soll ich den denn jetzt herkriegen, mitten in der Nacht? der Fahrer schlug einen ernsten Ton an. Kauf ihn halt, sagte ich zu ihm, kostet nicht mehr als zwanzig Eier. Mensch, es ist ein Uhr nachts, murrte er, wo soll ich den denn kaufen? Stimmt, sagte ich, ein Uhr nachts. Hör mal, aufm Süd. Hää? Auf dem Südbahnhof, sage ich zu ihm, da gibt’s bestimmt welche, da kann man alles kaufen. Roll kurz rüber, he? Er stand im Schnee, sah uns an und wir ihn, und ohne etwas zu sagen, stieg er in seinen Jeep und fuhr los. Sieh an, dachte ich, hat sich der Fettwanst davongemacht. Da hast du deine revolutionäre Solidarität, fucking Bourgeois.
    Nach einer halben Stunde kamen sie zurück. Sie drehten noch eine Ehrenrunde und schmissen ihre sämtlichen Scheinwerfer und Lampen an. Der Fahrer stieg aus, wahrscheinlich hatte er unterwegs noch mal nachgeladen. Aber das war Nebensache, absolute Nebensache – in der Hand hielt er einen neuen türkischen Ball! Er lächelte zufrieden und etwas verlegen, als wollte er sagen, hab es schließlich versprochen, ein Mann, ein Wort.
    Da er total blau war, stellten wir ihn ins Tor, er war gleich voll dabei, kein übler Typ, wie sich herausstellte, sein Jeep und seine hundert Kilo taten nichts zur Sache, er sprang nach den Bällen, so gut er konnte, kam heraus, reagierte auf Querschläger, er hatte echt Mut gefaßt, wie wir alle damals, aber er ganz besonders – er stand inmitten der nächtlichen, winterlichen Stadt, umgeben von einem verrückten, aufgeheizten Publikum, zwischen dem Hotel Charkiw und der Universität, links von ihm zogen sich Polizeiabsperrungen hin, rechts stand sein Jeep und leuchtete aus Dutzenden von Lampen, über ihm durchdrang der Frost den Novemberhimmel, der smaragdfarben über dem zentralen Stadtteil, über den Zäunen, über dem Neubauviertel und den alten Arbeiterbezirken und über dem Bahnhof leuchtete, dessen heißes Tag-und-Nacht-Herz niemals aussetzte, er hielt sich gut auf dem glatten, von schweren Schuhen festgetrampelten Schnee, hin und wieder sah er beunruhigt zu den Polizeiabsperrungen hinüber und hielt alles, was auf seinen Kasten kam.

Teil Vier
    Live fast, die young
    (zehn Tracks, die ich auf meiner Beerdigung hören möchte)
1. Eric Burdon. Black On Black In Black.
    Die Geister meiner Vergangenheit tauchen in meinem Leben auf. Sie verfolgen mich aus der Ferne, verstecken sich hinter den Passanten, halten sich die Zeitung vors Gesicht, wenn sie im Bistro am Tisch gegenüber sitzen. Sie warten und geben sich Mühe, nicht zu stören. Aber jedesmal, ich muß mich nur ein bißchen entspannen oder ein Stück weggehen und allein sein, kommen sie leise an, stellen sich neben mich und sehen mir unverwandt in die Augen, sie warten darauf, daß ich den ersten erkenne. Sie erwischen mich in den Toiletten der Klubs, am Kiosk, wenn ich mir eine Zeitung kaufe, in meinem Treppenhaus, wenn ich morgens Mineralwasser hole – es ist schwer, ihr Auftauchen vorherzusehen, und kaum möglich, ihnen zu entkommen, sie folgen mir

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