Andalusisches Feuer
Small Talk machen können. Zum Glück übernahm Karen diesen Part, während sie die beiden ins Speisezimmer führte.
„Paris …“ Plötzlich brach sie in Gelächter aus. „Natürlich. Er war einer von Margos Männern! Du hast ja nie über andere geklatscht.“
Sie plauderte munter weiter, froh, dass sie das Geheimnis so schnell gelöst hatte. „Wir fanden es zum Schreien komisch, als Sarahs Eltern sie nach Paris fahren ließen, um bei Margo zu wohnen. Das war doch im letzten Schuljahr, oder?“
Gordon reichte Teller herum. „Margo?“, reagierte er gehorsam auf das Stichwort.
Sarah gelang es, die staubtrockenen Lippen zu bewegen. „Margo Carruthers. Ihr Vater besaß eine Maschinenbaufirma in Paris.“
„Sarah hat im Französischunterricht immer geschlafen“, nahm Karen ungeduldig den Faden wieder auf. „Und für ihre Eltern war Französisch genauso wichtig wie Sträuße arrangieren und eine gute Körperhaltung.“
„Ich ging nach Paris, um mein Französisch zu verbessern.“ Sarah musste sich sehr beherrschen, damit ihre Stimme bei dieser überflüssigen Erklärung nicht schwankte.
Karen kicherte hemmungslos.
„Tut mir leid, ich verstehe den Witz nicht“, wandte Gordon ein.
Karen bedachte ihn mit einem mitleidigen Blick. „Margo war ganz wild auf Sex, auf alles, was Hosen anhatte“, betonte sie. „Aber in Gegenwart von Eltern kehrte sie die kleine Nonne heraus. Sie wissen doch, wie die Southcotts sind. Wenn sie eine Ahnung gehabt hätten, was Margos Lieblingsbeschäftigung war, hätten sie Sarah nicht auf eine Meile an sie herankommen lassen!“
„Teenager brauchen Schutz, sie sind gerade in diesem Zusammenhang leicht verletzlich“, entgegnete Gordon kühl.
„Die Southcotts haben sie aber in jeder Hinsicht überbehütet. Als in der Schule eine Grippeepidemie ausbrach, behielten sie Sarah sechs Wochen zu Hause!“ Karen blickte schuldbewusst in das verschlossene Gesicht ihrer Freundin. „Verzeihung, ich habe ganz vergessen, dass du hier bist. Aber warum sagst du eigentlich nichts dazu?“
Karens Schwester trat heran und flüsterte ihr etwas ins Ohr. „Nein!“, rief Karen ärgerlich. „Entschuldigt mich bitte. Jemand war in meiner Dunkelkammer.“
„Hoffentlich ist das Verhör jetzt vorbei. Dieser Alejandro hat Nerven, sich dir so aufzudrängen. Andererseits, kann man von einem Südeuropäer etwas anderes erwarten?“
Sarah fühlte den merkwürdigen Drang, die Selbstzufriedenheit und Überheblichkeit aus Gordons Gesicht zu prügeln. Karens Schlussfolgerung, Rafael wäre einer von Margos Liebhabern gewesen, erfüllte sie mit Bitterkeit. Selbst meine Freundin kann sich nicht vorstellen, dass ich eine enge Beziehung zu ihm gehabt habe. Nur ein übler Streich des Schicksals hatte zwei so gegensätzliche Persönlichkeiten vereinen können. Warum hatte sie durch die Hölle gehen müssen, bloß um zu entdecken, was für alle anderen so offensichtlich war? Äquator und Nordpol würden sich niemals begegnen.
Gordon winkte erleichtert einen Bekannten herbei, der ebenfalls Dinnerjacket und Fliege trug. Der Mann und die magere Blondine an seinem Arm begrüßten Sarah, und sie antwortete mechanisch. Bald unterhielten sich die vier über Politik, Literatur, den Aktienmarkt und andere aktuelle Themen. Gordon war in seinem Element. Langsam schlenderten sie zurück ins Wohnzimmer, friedlich ins Gespräch vertieft. Doch der Schock der Konfrontation mit ihrer Vergangenheit steckte Sarah immer noch in den Knochen, von der nervlichen Anspannung war ihr übel.
Jetzt lehnte Rafael an der Wand. Er hatte noch nie lange an einem Ort verweilen können. Ständig war er in Bewegung, sogar bei der Arbeit. Oh nein … Verzweifelt versuchte sie, die Erinnerungen zu unterdrücken, um ihr Gleichgewicht nicht völlig zu verlieren. Während andere Gäste sich an ihnen vorbeischoben und sie immer näher an Rafael herandrängten, legte Gordon ihr ganz unvermutet den Arm um die Schultern. Rafaels Freundin zupfte an dessen Ärmel, ihre andere Hand lag auf seiner Brust. Sie wirkt wie ein Vorstehhund, der mit der Leine im Maul an seinem Herrchen hochspringt, um ihn zu einem Spaziergang zu bewegen, dachte Sarah angeekelt. Dieser Anblick war eine schwere Strafe.
„Es wird Zeit, nach Hause zu fahren“, drang Gordons Stimme an ihr Ohr.
„Ja, es ist schon spät.“ Sie hatte keine Ahnung, wie viel Uhr es tatsächlich war, wie lange sie gebraucht hatte, um sich Rafaels magischem Bann zu entziehen.
Erstaunlich schnell
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