ANDERSENS MÄRCHEN ((Sämtliche Werke)) (German Edition)
schloß das Fenster auf und flog über die Stadt gerade in das Schloß, wo er sich in eine Ecke dicht unter das Fenster setzte, wo die Prinzessin ihre Schlafkammer hatte.
Es war ganz totenstill in der ganzen Stadt; nun schlug die Uhr dreiviertelzwölf. Das Fenster ging auf, und die Prinzessin flog in einem großen, weißen Mantel und mit langen, schwarzen Flügeln über die Stadt hin, hinaus zu einem großen Berge. Aber der Reisekamerad machte sich unsichtbar, so daß sie ihn nicht sehen konnte, flog hinter ihr her und peitschte die Prinzessin mit seiner Rute, so daß tüchtig Blut floß, wo er hinschlug. Hu! war das eine Fahrt durch die Luft! Der Wind fing sich in ihrem Mantel, so daß er sich nach allen Seiten ausbreitete wie ein großes Schiffssegel, und der Mond schien durch den Mantel hindurch.
"Wie es hagelt! Wie es hagelt!" sagte die Prinzessin bei jedem Rutenschlag, und das geschah ihr recht. Endlich langte sie draußen bei dem Berge an und pochte. Es tönte wie Donnnerrollen, als der Berg sich öffnete. Die Prinzessin ging hinein und der Reisekamerad ging ihr nach, denn niemand konnte ihn sehen, er war unsichtbar. Es ging durch einen großen, langen Gang, in dem die Wände ganz absonderlich schimmerten. Es waren über tausend glühende Spinnen, die die Mauer auf und nieder liefen und wie Feuer leuchteten. Nun kamen sie in einen großen Saal, aus Gold und Silber erbaut. Blumen, groß wie Sonnenblumen, rot und blau, schimmerten von den Wänden. Aber niemand konnte die Blumen pflücken, denn die Stiele waren häßliche, giftige Schlangen, und die Blumen waren Feuer, das ihnen aus dem Rachen flammte. Die ganze Decke war mit leuchtenden Johanniswürmchen und himmelblauen Fledermäusen bedeckt, die mit ihren dünnen Flügeln schlugen; es sah ganz wundersam aus. Mitten auf dem Fußboden stand ein Thron, der von vier Pferdegerippen getragen wurde, die Zaumzeug aus roten Feuerspinnen hatten. Der Thron selbst war aus milchweißem Glas, und die Sitzkissen waren kleine, schwarze Mäuse, die einander in den Schwanz bissen. Oben darüber war ein Dach aus rosenroten Spinnenweben, besetzt mit den niedlichsten kleinen, grünen Fliegen, die wie Edelsteine schimmerten. Mitten auf dem Thron saß ein alter Zauberer, mit einer Krone auf dem häßlichen Kopf und einem Zepter in der Hand. Er küßte die Prinzessin auf die Stirn, ließ sie an seiner Seite auf dem kostbaren Thron sitzen, und nun begann die Musik. Große schwarze Heuschrecken spielten Mundharmonika, und die Eule schlug sich auf den Bauch, denn sie hatte keine Trommel. Es war ein komisches Konzert. Kleine, schwarze Kobolde mit einem Irrlicht auf der Kappe, tanzten im Saal herum. Niemand konnte den Reisekameraden sehen. Er hatte sich gerade hinter den Thron gestellt und sah und hörte alles, was vorging. Die Hofleute, die nun auch hereinkamen, waren sehr schön und vornehm, aber wer genau hinsah, merkte wohl, wie es mit ihnen bestellt war. Sie waren nichts anderes, als Besenstiele mit Kohlköpfen darauf, in die der Zauberer Leben gehext, und denen er gestickte Kleider gegeben hatte. Aber das war ja auch gleich, sie wurden nur zum Staat gebraucht.
Nachdem nun etwas getanzt worden war, erzählte die Prinzessin dem Zauberer, daß sich ein neuer Freier eingefunden habe und fragte deshalb, woran sie wohl denken sollte, um ihn am anderen Morgen danach zu fragen, wenn er ins Schloß käme.
"Höre", sagte der Zauberer, "nun will ich dir etwas sagen! Du mußt etwas recht leichtes nehmen, denn darauf kommt er sicher nicht. Denk an deinen einen Schuh. Das rät er nicht. Laß ihm dann den Kopf abschlagen; aber vergiß nicht, wenn du morgen wieder zu mir heraus kommst, mir seine Augen mitzubringen, denn die will ich essen!"
Die Prinzessin verneigte sich ganz tief und sagte, sie wolle die Augen nicht vergessen. Der Zauberer schloß nun den Berg auf, und sie flog wieder nach Hause, aber der Reisekamerad folgte ihr nach und prügelte sie so heftig mit der Rute, daß sie tief über das starke Hagelwetter seufzte und sich beeilte, was sie nur konnte, um wieder durch das Fenster in ihre Schlafkammer zu kommen. Der Reisekamerad flog wieder zurück zu dem Wirtshause, wo Johannes noch schlief, löste seine Flügel ab und legte sich dann auch auf das Bett, denn er durfte wohl müde sein.
Es war ganz zeitig am Morgen, als Johannes erwachte. Der Reisekamerad stand ebenfalls auf und erzählte, daß er heute Nacht einen ganz wunderlichen Traum geträumt habe von der
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