Ange Pitou, Band 1
war ein Brief von Doktor Gilbert, datiert vonNew-York, angekommen. Als der philosophische Reisende den Fuß auf den Boden Amerikas setzte, vergaß er seinen kleinen Schützling nicht. Er schrieb an Meister Niguet, um sich zu erkundigen, ob seine Vorschriften befolgt worden seien, und um den Vollzug des Vertrags, wenn man dies nicht gethan, oder seinen Bruch zu fordern, wenn man diese Vorschriften nicht befolgen wollte.
Der Fall war ernster Natur. Die Verantwortlichkeit des Notars stand auf dem Spiel: er fand sich bei der Tante Pitou ein und stellte sie, den Brief des Doktors in der Hand, über den Vollzug des Vertrags zur Rede.
Man konnte nicht zurückweichen; jede Entschuldigung mit schlechter Gesundheit wurde durch das Aussehen von Pitou Lügen gestraft. Pitou war groß und mager; aber die jungen Bäume des Waldes waren auch groß und mager, was sie nicht verhinderte, sich äußerst wohl zu befinden.
Mademoiselle Angelique verlangte acht Tage, um ihren Geist auf die Wahl des Standes vorzubereiten, den sie ihren Neffen wollte ergreifen lassen.
Pitou war ebenso traurig als seine Tante. Das Gewerbe, das er trieb, kam ihm vortrefflich vor, und er wünschte sich kein anderes.
Während dieser acht Tage war weder von der Vogeltränke, noch vom Wildern mehr die Rede. Ueberdies befand man sich im Winter, und im Winter trinken die Vögel überall. Dann war Schnee gefallen, und beim Schnee wagte es Pitou nicht, seine Schlingen zu legen. Der Schnee bewahrt den Eindruck der Sohlen, und Pitou besaß ein paar Füße, das dem Vater La Jeunesse die schönste Aussicht gab, innerhalb vierundzwanzig Stunden zu erfahren, wer der Dieb gewesen, der den seiner Obhut anvertrauten Bezirk entvölkert.
Während dieser acht Tage wuchsen der alten Jungfer die Klauen wieder. Pitou hatte seine Tante Angelique von einst wiedergefunden, diejenige, welche ihm so sehr Furcht eingeflößt, und die das Interesse, diese mächtige Bewegkraft ihres ganzen Lebens, einen Augenblick Sammetpfoten hatte machen lassen.Je näher man dem Ziele rückte, desto mürrischer wurde die Laune der alten Jungfer, dergestalt, daß am fünften Tag Pitou wünschte, seine Tante möchte sich sogleich für irgend einen Stand entschließen, gleichviel welcher es wäre, wenn nur nicht der eines Schmerzendulders, den er bei der alten Jungfer einnahm.
Plötzlich erschloß sich ein Gedanke in diesem so grausam bewegten Kopf. Dieser Gedanke gab ihr die Ruhe wieder, die sie seit sechs Tagen verloren hatte. Er bestand darin, daß sie den Abbé Fortier bat, den armen Pitou unentgeltlich in seine Klasse aufzunehmen und ihm das von Seiner Hoheit, dem Herzog von Orleans, im Seminar gestiftete Stipendium zu verschaffen. Das war eine Lehre, die der Tante Angelique nichts kostete, und Herr Fortier, abgesehen von den Krammetsvögeln, den Amseln und den Kaninchen, mit denen ihn die alte Frömmlerin seit sechs Monaten überhäufte, war dem Neffen der Vermieterin seiner Kirchenstühle etwas mehr schuldig, als jedem andern. So unter der Glocke gehalten, trug Ange in der Gegenwart ein und versprach für die Zukunft.
Ange wurde in der That beim Abbé ohne irgend eine Bezahlung aufgenommen. Es war ein braver Mann, dieser Abbé; nicht im geringsten interessiert, gab er seine Wissenschaft denen, die arm am Geiste, sein Geld denen, die arm am Körper; aber unlenkbar in einem einzigen Punkt: die Solöcismen brachten ihn außer sich, die Barbarismen machten ihn wütend. In diesem Fall kannte er weder einen Freund, noch einen Feind, weder einen Armen, noch einen Reichen, weder einen bezahlenden Schüler, noch einen nicht bezahlenden. Er schlug mit unbestechlicher Unparteilichkeit und mit einem lacedämonischen Stoicismus, und da er einen starken Arm hatte, so schlug er tüchtig. Das war den Eltern bekannt; es hing von ihnen ab, ihre Kinder zum Abbé Fortier zu bringen oder nicht; brachten sie ihre Kinder aber dahin, so mußten sie sie gänzlich seiner Willkür überlassen; denn auf alle mütterlichen Reklamationen antwortete der Abbé mit dem Wahlspruch: Wer gut liebt, der züchtigt gut, den er auf den Handgriffseiner Rute und auf den Stiel seiner Schulgeißel hatte gravieren lassen.
Ange Pitou wurde also auf die Empfehlung seiner Tante unter die Schüler des Abbes Fortier aufgenommen. Ganz stolz auf diese Aufnahme, die Pitou viel weniger angenehm war, begab sich die alte Andächtlerin zu Meister Niguet und benachrichtigte ihn, sie habe sich nicht nur mit den Absichten des Doktors Gilbert in
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