ANGEL - Wolfsmensch (German Edition)
Fasern auf meiner Haut spüren. Über mir, auf mir, war jemand, den ich kannte und doch nicht erkannte. Ein Mann mit unglaublich langem, rabenschwarzen Haar. Glatt floss es ihm um die hellen, nackten Schultern, als er den Kopf in den Nacken warf.
Wächter!
Wie ein Echo hallte dieses Wort durch meinen Kopf, aber ich wusste nicht, wo ich es einordnen sollte. Erst spät merkte ich, dass Seth mich bei den Armen gepackt hatte und erschrocken ansah.
„Angel? Was ist denn los? Alles in Ordnung?“
Endlich erwachte ich aus meiner Starre und erwiderte seinen Blick. „Alles ist gut. Mach dir keine Sorgen. Ich hatte gerade nur – Ich glaube, ich habe mich eben an etwas erinnert...“
Nun wurde sein Blick noch ernster. Seine Brauen sanken tief in die Stirn, aber sein Griff um meine Oberarme lockerte sich wieder.
„Erinnert?“, wiederholte er leise. „Was hast du gesehen?“
Einen Moment überlegte ich tatsächlich, ob ich ihm die Einzelheiten erzählen sollte, entschied mich dann aber dagegen. Seth zu erzählen, dass ich einen anderen Mann gesehen, mit dem ich offenbar mal etwas gehabt hatte, während er in mir war, hielt ich für keine gute Idee.
„Ich konnte das Bild nicht lange genug halten“, log ich und stand langsam auf. Seth ließ sich nach hinten sinken und fing sich mit den Händen ab. Sein Blick glitt über meinen Körper, als ich so vor ihm stand und mich streckte. Kein Wort kam über seine Lippen, aber seine Augen sagten alles. Er wollte mich immer noch. Er wollte mich besitzen, die Gier in seinen nun dunklen Augen war nicht zu übersehen. Ich wich seinem Blick aus und drehte mich um. Diese Hitze konnte ich nicht lange ertragen. Erst einmal musste ich herausfinden, wer der Mann in meiner Erinnerung war. Vielleicht gab es doch jemanden, der zu mir gehörte.
„Komm, lass uns langsam zurückgehen. Mark wird sich schon Sorgen um uns machen.“
Ohne seine Antwort abzuwarten, machte ich mich auf den Weg. Ihm blieb also nichts anderes übrig, als mir entweder zu folgen oder hier im Wald zu bleiben. Nach wenigen Metern war er wieder an meiner Seite. Gemeinsam gingen wir Arm in Arm durch den morgendlichen Wald zurück zum Haus.
Kapitel III
Ich war glücklich.
Fünfundzwanzig wundervolle Jahre. In meinen Augen bloß ein Wimpernschlag. Nicht mehr die Suche beschäftigte und bedeutete mein Leben, sondern mein Heim und meine Familie.
Wenn ich nur geahnt hätte, wie schnell es damit vorbei sein konnte ...
Mitte April erblühte der wilde Garten in Craven in den herrlichsten Farben. Überall sprossen Blüten und Knospen, zartes Grün, wohin man schaute. Die Welt erwachte zu neuen Leben. Die Tage wurden länger und die Sonne vertrieb jeden Tag mehr von der Kälte. Alles schien im Übermut des Frühlings zu ertrinken. Nicolai inklusive.
„Das wagst du nicht!“
Lachend jagte ich Nick hinterher. Von seinem Zimmer ins Bad und weiter in Seth Zimmer. Mit einem Grinsen von einem Ohr bis zum anderen wedelte Nick mit dem Foto vor meiner Nase herum.
„Oh doch! Ich werde es ins Netz stellen! Das ist aber auch einfach zu süß! Lukas! Komm her! Das musst du sehen!“
„Na, warte!“ Mit einem Satz war ich wieder bei ihm. Ich sprang einfach über das Bett, das er als Schutz zwischen uns gebracht hatte. Lachend entkam Nick meinem Angriff und stürzte aus dem Zimmer, doch ich war ihm dicht auf den Fersen. Der Grund für diese wilde Jagd war das Foto, welches Nick so stolz wie eine Trophäe vor sich hertrug. Eine erst kürzlich geschossene Aufnahme von mir und Seth in der Londoner Innenstadt. Arm in Arm vor dem Brunnen am Piccadilly Circus. Wir waren immer noch nicht wirklich zusammen. Jedenfalls nicht offiziell, aber unsere Bindung hatte sich in den letzten Jahren gefestigt. Seth war sehr geduldig mit mir und ließ mir alle Zeit der Welt, um mich an ihn zu gewöhnen.
„Nicolai Pietro Sarno!“, schrie ich ihm hinterher und schlitterte auf den Flur, „Du spielst mit deinem Leben!“
Nick lachte daraufhin nur und sprang die Treppe hinunter. Seine langen Beine nahmen immer gleich mehrere Stufen auf einmal. Unten füllte sich nun langsam die Halle. Die übrigen Rudelmitglieder waren gekommen, um zu sehen, woher das Geschrei kam.
Mit einer Hand ergriff ich das Treppengeländer und nutze den Schwung um die Ecke zu nehmen.
Dabei übersah ich die Falte im Teppich.
Eine Unachtsamkeit. Nicks Füße hatten sie eben aufgeworfen und mein Fuß verfing sich nun darin.
Hart knallte mein Kopf auf die hölzernen Stufen.
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