Angela Merkel - Ein Irrtum
Wechselwählerin. Auch wird die Gesinnungsstärke von Parteien überschätzt. Dort siegt meist Pragmatismus, etwas, das man weniger höflich auch Opportunismus nennen könnte.
Für die CDU sprach, fand ich 2005, Angela Merkel – und für Angela Merkel sprach, was sonst noch im Angebot war. Nicht nur ich hatte die Nase voll von testosterongetriebenen Alphamännchen, die sich beständig an die Brust klopfen und Imponiergeschrei ausstoßen. Von der stickigen Provinzialität grüner Rituale, von der verlogenen Semantik der »sozialen Wärme«, von der menschelnden Betroffenheitslyrik. Von dem gespreizten deutschen Selbsthass.
Aber auch von den Übertaktierern, von den Biertischstrategen, den autoritären Siegertypen. Vom Männerbund des »Andenpakts« ebenso wie von den idealen Familienvätern, die für die Homestory in bunten Blättern ihre Sonntagsfamilie herzeigen und wochentags fremdgehen. Und die nichts im Kopf, aber dafür »Kontakte« haben.
Bei Angela Merkel konnte man sicher sein, dass sie in jungen Jahren nicht am Tor zum Kanzlerbungalow in Bonn gerüttelt und »Ich will hier rein!« gerufen hat. Dass sie nicht nächtelang in der Bonner »Provinz« bei Bier, Schnaps und Wein von der Macht getönt hat und wie man sie am besten verteilt. Dass sie uns mit Hillu und Doris, mit Selbstfindung, Joggers’ High, Diätrezepten und italienischem Rotwein in Ruhe lassen würde.
Man konnte davon ausgehen, dass sie Deutschland nicht nur zur Fußballweltmeisterschaft prima findet und bei Fahne und Nationalhymne nicht fremdelt. Und dass sie dennoch das vaterländische Pathos nicht kann, die schweren Reden schwerer Männer.
Sie kam aus der DDR, machte aber nicht auf Widerstandskämpferin, die sie nie war. Sie ging nicht mit ihrem Frausein hausieren. Sie leitete aus ihrer Kandidatur keine historische Notwendigkeit ab.
Genau das fand ich angenehm. Angela Merkel ignorierte Chance und Risiko des Frauseins, stand ebenso schüchtern wie selbstbewusst da und schien zu sagen: »Ich kann, weil ich will.« Sie spielte die kleine Sensation herunter, dass es erstmals eine Frau (und auch noch eine aus dem Osten) war, die gute Chancen hatte, Bundeskanzlerin zu werden.
Was ziemlich viel Zumutung auf einmal bedeutete. Deshalb war es geschickt, nicht mit der Frauenkarte zu trumpfen. Just in dem Milieu, das sich einiges darauf zugutehält, stets auf der Seite der Frauen zu stehen, kam sie nämlich gar nicht gut an. Weil sie in der falschen Partei war, klar: Frausein allein genügt nun mal nicht, man muss auch die richtige Gesinnung vorzeigen.
Es gab jedoch auch weniger edle Motive. »Wie die schon aussieht!« – das schien man in rot-grünen Kreisen für ein ernsthaftes Argument gegen Angela Merkel zu halten. Man muss den Typen nur ins Gesicht sehen, hieß das mal, zu einer anderen Zeit, an einem anderen Ort.
Doch warum soll es im linken Milieu weniger wichtig sein als anderswo, Zeichen der Dazugehörigkeit zu setzen und zu entschlüsseln? Weltoffen und tolerant ist man nur, wo’s passt. Der gehässige Spott, der von den »besseren Menschen« über Angela Merkel gekübelt wurde, war allerdings nicht selten von einer Art, die man in diesen Kreisen gern »menschenverachtend« nennt. Wenn sie vom Gegner kommt.
Angela Merkel wirkte fremd, auch wenn sie auf ihr Äußeres mehr Wert legt, seit sie in die Hände von Friseuren und Stylisten geraten ist. Sie gehörte nicht dazu. Auch das gefiel mir.
Angela Merkels Kandidatur war also in jeder Hinsicht riskant. Wahlstrategen hatten schon im Fall von Rita Süssmuth, der ersten Frauenministerin unter Kanzler Kohl, von einem negativen Effekt nicht bei den Wählern, sondern bei den Wählerinnen gewarnt: Frauen, die sich (sozial)
schwach fühlen, heißt es auch heute noch, vertrauen eher einem Mann. Die Aufsteigerinnen aber haben Angst, dass die Frau da oben sich stellvertretend für sie blamiert und damit den eigenen Erfolg infrage stellt.
Westdeutsche Karrierefrauen und »die da«, diese Halbwilde aus dem Osten? Unvorstellbar. Dachte man. Doch auch das war ein Irrtum – ein folgenreicher.
Mir gefiel genau das: eine Frau, die kein Gedöns machte. Die nicht als »Powerfrau« nervte, mit »Bauchgefühl« agierte oder ihren Mangel an Substanz mit »sensibler« Wortwahl verdeckte. Die sich, kurz gesagt, nicht mit Frauenbonus vermarktete – weil sie das nicht nötig hatte.
Irrtum?
Mich überzeugte das, was laut Angela Merkel der CDU fehlen würde, wenn sie 1990 nicht in die Politik gegangen
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