Angela Merkel - Ein Irrtum
Schrecken ohne Ende.
Sie wissen das besser? Das geht nicht? Aus welchem Grund auch immer? Dann sagen Sie meinetwegen Ja zu Europa. Aber laut! Sagen Sie, dass ein starkes Europa nur mit einem starken Deutschland zu haben ist. Fordern Sie Respekt – den Deutschen gegenüber, die ihre Eigenheiten haben, aber insgesamt ein ziemlich entspanntes, aufgewecktes und kreatives Volk sind. Nehmen Sie denen wiederum die
Last, als ewig Schuldige in Haftung genommen zu sein. Sagen Sie: Wir Deutschen übernehmen Verantwortung auch für die Vergangenheit, an der wir nicht persönlich schuld sind. Wir verbeugen uns vor den Opfern. Es verbergen sich keine Barbaren unter unserer zivilen Oberfläche. Es steckt kein Nazi in jedem von uns. Und wir sind auch nicht mehrheitlich Oberlehrer oder Tugendwächter. Wir verdienen Vertrauen.
Nicht am deutschen Wesen soll die Welt genesen. Aber wenn wir schon zahlen sollen für halb Europa, wollen wir nicht die Einzigen sein, die ihre volle Rente erst mit 67 beziehen.
Was wir für Europa tun können, tun wir mit kämpferischem Optimismus: Wir haben schon mehr als eine klapprige Kiste wieder ans Laufen gebracht. Und was wir tun können, tun wir für die Zukunft, nicht als Ablass für die Vergangenheit.
Sie sehen, Frau Merkel, so leicht wäre es, mein Vertrauen wiederzugewinnen, wenn Sie nur mit Überzeugung und guten Gründen endlich eine Position, die diesen Namen verdient, vertreten und danach handeln würden. Ich bin nicht auf »schwarz« oder »weiß« festgelegt. Ich bin guten Begründungen gegenüber immer aufgeschlossen, wenn ich hinter ihnen Lauterkeit vermuten darf und kein machttaktisches Kalkül oder Klientelpolitik. Bei mir darf man die Meinung wechseln, wenn das gut begründet und offen zugegeben wird.
Wenn Ihnen das gelingt, zum Beispiel im Kampf um den Euro und Europa, dann ist Ihnen ein Platz in den Annalen
gewiss. Vor allem wäre damit das kostbarste Pfund zurückgewonnen, mit dem ein Politiker wuchern kann: Vertrauen.
Doch da stocke ich schon. Wie sollte eine Regierung, die noch nicht einmal eine Gesundheitsreform zustande bringt, in der Lage sein, die EU zu retten? Wie ein Parlament, das so überfordert zu sein scheint, dass seine Arbeit regelmäßig eine Mängelrüge vor dem Bundesverfassungsgericht zu fürchten hat? Wie ein Staat, dessen Finanzbehörden nur vorläufige Steuerbescheide erteilen können, weil auch hier das Bundesverfassungsgericht das letzte Wort hat?
Ich gestehe: Ich finde es peinlich für ein vom Volk gewähltes Parlament, dass es die Entscheidung über Bagatellen wie Pendlerpauschale und Hartz-IV-Sätze dem obersten Gericht überlassen muss. Arbeitet der Bundestag wirklich so schlecht? Oder traut man sich nichts mehr und überlässt unbequeme Angelegenheiten lieber einer »höheren, weiseren Instanz«? Einer »geistigen Elite«? Die demokratisch nicht legitimiert ist, weil sie nie gewählt wurde? Ist das Ihr Verständnis von Demokratie?
Ja, da hatten und haben Sie recht: Ein starkes Land mit großen Aufgaben braucht eine »Politik aus einem Guss« und eine Regierung, die auch mal »durchregieren« kann und will. Stattdessen verschwenden ihre Mitglieder kostbare Zeit mit Wahlkampf im Minutentakt und Dauerwerbesendungen. Ein Mehrheitswahlrecht und die Entmachtung der Länder würden Druck reduzieren. Und im Übrigen finanziellen Spielraum schaffen für höhere Politikergehälter.
Denn Leistung muss sich lohnen. Das findet auch der Steuerbürger.
Liebe Frau Merkel, Sie haben ein großes Vorbild: Katharina die Große. Die hat sich nach einem Staatsstreich zur Zarin ausrufen lassen. Eine Putschistin? Das wäre in der Tat ein schlechtes Vorbild. Doch Katharina die Große wollte als aufgeklärte Monarchin nur Gutes, nämlich eine umfassende Verwaltungsreform durchsetzen, ohne dass dauernd jemand dabei störte.
Was wollen Sie mir mit diesem Vorbild sagen? Wer stört Sie beim großen Reformwerk? Muss ich auf Ihren Staatsstreich warten? Oder geht’s auch ohne?
Die deutschen Frauen müssen 2011 nicht erneut Fußballweltmeisterinnen werden, um zu zeigen: Deutschland kann mehr. In diesem Land ist noch viel drin. Man muss es, liebe Kanzlerin, nur rauslassen. Das ist es, was ich von Ihnen erwartet habe. (M)ein Irrtum?
Anmerkungen
1
1998, zitiert bei Koelbl, a.a.O., S. 6.
2
Das britische Wirtschaftsinstitut CEBR, zitiert in der »Welt«, 1.1.2010.
AUSGEWÄHLTE LITERATUR
Jürgen Bellers (Hg.), Zur Sache Sarrazin , Münster 2010
Kai Diekmann, Der große
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