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Angezogen - das Geheimnis der Mode

Angezogen - das Geheimnis der Mode

Titel: Angezogen - das Geheimnis der Mode Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Vinken
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konkrete körperliche Ausprägung willkürlich ist; vielmehr scheint in ihm eine göttliche, ewige Ordnung auf. »Das Geheimnis des Adels ist dieZoologie«, meinte Karl Marx abfällig. Was jedenfalls die weltliche Macht angeht, so sind Erbfolgen und Privilegien an Zeugung und Geburt innerhalb der Institution der Familie gebunden. Geschlecht und Fruchtbarkeit kommen deshalb auch in der ostentativen Zurschaustellung eine zentrale Funktion zu. Der Körper wird als fruchtbarer Körper inszeniert.
    Unter politisch-juristischen Gesichtspunkten ist die Mode der Moderne das Resultat der Umbesetzung der Theorie von den zwei Körpern des Königs, wie sie das Gottesgnadentum auszeichnete. Das Sein des Menschen in der Welt ändert sich mit diesem Umbruch, der durch das Ereignis der Französischen Revolution markiert wird, grundlegend. Die Zwei-Körper-Theorie, die sich im 13. Jahrhundert unter Rückgriff auf das römische Korporationsrecht entwickelt hat, unterscheidet zwischen Institution und Person, überpersönlichem Amt und individuellem, sterblichem Träger. 11 Vereinfacht gesagt hat der König einen individuellen, spezifischen Körper, der wie alle individuellen Körper auf der Erde stirbt, aber die Institution des Königtums – der andere Körper des Königs – bleibt als juristische Person bestehen: »Le Roi est mort, vive le Roi.« Wird die Erbfolge nicht durch die Frauen ausschließende Regelungen wie das in Deutschland und Frankreich geltende salische Gesetz beschnitten, kann der Herrscherkörper, wie man an der englischen Königin Elisabeth I, der russischen Zarin Katharina II . und auch an Maria Theresia, der regierenden Erzherzogin von Österreich und Königin von Ungarn und Böhmen, sieht, sowohl männlich als auch weiblich sein.
    Nach der Revolution wird diese Figur des mittelalterlichen Rechts mit den Republiken oder den verfassten Monarchien nicht ad acta gelegt, sondern umbesetzt: Der Staatskörper ist als Institution mehr als die Summe seiner Teile. Wird die Republik oft weiblich dargestellt – Britannia, Bavaria, Marianne –, sind die sie bestimmenden Institutionen männliche Kollektive. Alle Körperschaften der modernen Staaten, ihre Verwaltungen, ihre Jurisprudenz, ihre Wirtschaftsunternehmen,ihre Handwerksverbände, ihre Armeen, ihre Universitäten, ihre Institutionen waren männlich. In diesen Apparaten mit ihren Lehrkörpern und ihrer Corporate Identity wird die Zwei-Körper-Theorie auf Kollektive übertragen. Die konkrete Person bekleidet ein Amt, ist mit diesem aber nicht identisch. Die Institution hat Beständigkeit und Dauer über die jeweiligen Funktionsträger hinaus. Es gibt eine Amtsgemeinschaft zwischen Amtsnachfolger und Amtsvorgänger.
    Anders als in einer aristokratischen Ordnung soll jedoch nicht der Einzelne in seiner konkreten, auch geschlechtlichen Körperlichkeit sichtbar werden; vielmehr sollen die vielen Körper den einen der Institution, den Organismus der menschlichen Gesellschaft bilden. Deshalb müssen sie in ihrer individuellen Leiblichkeit ins Kollektiv ein- und in Reih und Glied zurücktreten. Die spezifische Schönheit, die Geschlechtlichkeit, die Verletzbarkeit, kurz, die Fleischlichkeit des je einzigartigen Körpers wird nicht mehr in ihrer Konkretheit als Ausweis einer höheren Ordnung verstanden und somit transzendiert. Sie wird sublimiert, aufgehoben zu einem Kollektivkörper. Aus dieser inkorporierten Institution soll keiner durch Abweichung herausstechen. Aufgabe der Männermode in der Moderne wird es sein, diese aufhebende Uniformierung in einen Kollektivkörper zu leisten. Sie ist damit in dieser spezifischen Modernität alles andere als modisch; was sie garantieren soll, ist überpersönliche Kontinuität. Ihre Aufgabe ist es, sich als Kleidung unsichtbar zu machen. Den institutionellen Körper kann sie nur zur Anschauung bringen und visuell erschaffen, wenn sie nicht als solche ins Auge sticht. Der Mann wird in seiner Kleidung modern, indem er alles bloß Modische abstreift. Der funktionale Anzug ohne überflüssige Verzierungen und Schnickschnack ist weltweit seit mehr als einem Jahrhundert ein Klassiker. Sein phänomenaler, universaler Erfolg liegt darin, dass er das ideale, moderne Kleidungsstück ist: schön, weil funktional. Einfach, authentisch, transparent. 12 Die Repräsentation von Macht und Autorität ist nun an den sexuell unmarkiertenKörper gekoppelt. Der Anzug wird zum nüchternen Sinnbild stoisch-christlicher Tugenden, die der Bürger verkörpern

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