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Angezogen - das Geheimnis der Mode

Angezogen - das Geheimnis der Mode

Titel: Angezogen - das Geheimnis der Mode Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Vinken
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geradlinig auf diesem Weg des Fortschritts voranzuschreiten, kommt es zum einen immer wieder zu verheerenden Rückschlägen: siehe, nur am offensichtlichsten, Dior und Galliano. Aufgepolsterte, geschnürte, mit Pfennigabsätzen bestückte, behinderte, bewegungsunfähige Weiblichkeit von Ancien Régime, Belle Epoque und Dritter Republik, die man endgültig hinter sich zu lassen gehofft hatte, kommt hier zurück und wird heiß begehrt. Keinem, der eine beliebige Modezeitschrift aufschlägt oder mit einer Freundin einkaufen geht, kann es verborgen bleiben, dass das brennende, unbedingte Begehren nach »einem Kleid von Dior« 16 um jeden Preis sich heute, sagen wir, auf die zwar ebenfalls unbeschreiblich weiblichen, aber nicht eben praktischen Schuhe von Louboutin richtet, für die bedenkenlos Unsummen ausgegeben werden. Noch nie hat jemand behauptet, in diesen Schuhen gehen zu können. Selbst stehen ist ein Problem. Sitzschuhe oder Bettschuhe also. Keine Rede kann deshalb davon sein, dass wir uns zielstrebig aus den Fesseln derWeiblichkeit zu befreien trachteten. Eher geht es offensichtlich darum, die Objekte unseres Begehrens zu Fall zu bringen, indem wir uns als Objekte des Begehrens herrichten.
    Das offensichtlichste Paradox dieser Erzählung liegt darin, dass die scheinbar pragmatische »Befreiung« einer bisher unerreichten Erotisierung des weiblichen und nur des weiblichen Körpers diente. Diese Geschichte einer Emanzipation von einschnürender, geschminkter, aber auch schamhaft verführerischer Weiblichkeit übersieht, dass die Übernahme der Männer in die Frauenmode, also des angeblich funktionalen Anzugs de facto Sexyness beförderte. Als Beispiel dafür mag die Crêpe-de-Chine-Bluse unter dem Smoking von Saint Laurent genügen, die die Brüste durchschimmern lässt. Aber selbst wenn auf solche Hypererotisierung verzichtet wird, stellt die Anpassung an das Männliche offensiv den Verzicht auf jede Ostentation ganz unübersehbar in den Vordergrund. Das erklärt auch die neuen, superauffälligen und unübersehbar inszenierten Beine der Frauen, die die zur Schau gestellten alten Beine der Männer vor der Revolution sind. So bleibt die weibliche Mode gerade im Übernehmen der männlichen Mode der Moderne das, was ebendiese Mode hinter sich ließ: ostentativ. Die Form ordnet sich der Funktion nicht unter; sie schiebt sich um ihrer selbst willen in den Vordergrund. Weibliche Mode stellt immer zur Schau, und das vielleicht gerade dann am effektivsten, wenn sie ostentativ darauf zu verzichten scheint. Die Entwicklung der Mode in der Moderne kann also nicht als einfache Fortschrittsgeschichte des Unisex erzählt werden, in der die Geschlechter endlich gleich werden. Sie entpuppt sich als eine durch und durch paradoxe, widersprüchliche Angelegenheit.
    Die andere Geschichte der weiblichen Mode erzählt dann auch nicht die Erfolgsgeschichte einer Subjektwerdung nach männlichem Muster, sondern vom Objektwerden des Weiblichen. Sie erzählt von Entfremdung, Verdinglichung und Fetischisierung. Diesem Narrativ zufolge wird Weiblichkeit in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts im Rahmen des Entstehensder modernen Konsum- und Warenkultur zum Spektakel. Zur Schau gestellt werden und wurden Frauen, anziehend durch ihren Sex-Appeal – als Revue Girls, als Chorus Girls, als Show Girls. In den Warenhäusern erobern sie den öffentlichen Raum als Kundinnen, und mit den Schaufensterpuppen dringt Weiblichkeit in Warenform auf die Straße. Die Boulevardpresse, das Fernsehen zeigt Stars und Sternchen, die ihre Reize auf Bildschirm und Hochglanzpapier zur Schau stellen.
    Diese neue Weiblichkeit findet in dieser fast traumatischen Entfremdungsperpektive ihre Allegorie im Mannequin. Das Mannequin ist nicht nur Resultat der Abstraktion und Normierung individueller Körper; es ist auch eine Reduktion der Maße der Statue, die in ihrer Vollkommenheit göttliche Schönheit spiegelt. Dabei liegt die Faszination des Puppenkörpers, jeder transzendenten Dimension beraubt, in seiner Seelenlosigkeit. Der Körper des Models belebt, er setzt ein Artefakt in Bewegung, er inkarniert den leblosen Körper der Puppe. Spiegelt die Vollkommenheit der Statue den Abglanz des Göttlichen, so verdankt sich die Vollkommenheit des Mannequinkörpers einer seelenlosen Belebung, der Verlebendigung des äußerlich mechanisch Normierten. Insofern wird das Mannequin ein Zerrbild der Statue. Verwies diese auf ein Ansichtigwerden des Göttlichen in den himmlischen

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