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Angezogen - das Geheimnis der Mode

Angezogen - das Geheimnis der Mode

Titel: Angezogen - das Geheimnis der Mode Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Vinken
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soll: continentia, modestia, abstinentia (Selbstbeherrschung, Bescheidenheit, Enthaltsamkeit). Die männliche Mode hat Transzendenz säkularisiert. Das Konstrukt der Zwei-Körper-Lehre verweist nicht mehr auf ein Jenseits wie im Gottesgnadentum, sondern auf die Beständigkeit der juristischen Personen in der Geschichte. Sie verkörpern in ihren Anzug tragenden Funktionsträgern und über deren individuelle Zufälligkeit hinaus Staat, Demokratie, Wissen, Macht und Geld. Nicht schön, sondern richtig, korrekt, passend und seiner Funktion gemäß angezogen zu sein, eben ins Bild zu passen, nicht aus dem Bild zu fallen, kurz, sein Amt korrekt zu bekleiden, ist das Ziel des gut angezogenen Mannes. Auf den Punkt gebracht hat das ein amerikanischer Journalist am Beispiel Obamas: »Er zieht sich für das Amt an, das er bekleiden will.«
Fortschritt?
    Das Zerbrechen der kosmischen Ordnung hatte für die Frauenmode andere Folgen. Es kam nicht zur Bildung eines weiblichen, bürgerlichen Institutionenkörpers. Die neue, von republikanischen Werten eines Brüderbundes geprägte Ordnung hing am Ausschluss alles Weiblichen, das in den Privatraum der Familie verwiesen wurde. Frauen waren und sind in diesen Korporationen Fremdkörper. Frauenmode uniformierte nicht, sondern individualisierte. Die aristokratische Zurschaustellung des Körpers und seiner erotischen Reize ist nach der Französischen Revolution Privileg – oder Bürde, je nach Perspektive – der Frauen geworden. Während der Männerkörper in der Mode der Moderne seine Geschlechtlichkeit unmarkiert lässt, geht es in der weiblichen Mode ausschließlich um die Markierung von Geschlechtlichkeit. Sie zeigt das, wasaus den männlichen Körperschaften in höherem Auftrag ausgeschlossen ist: Körper, Fleisch, Leib – Verführung, Sein zum Tode, Verletzlichkeit. Keine weibliche Mode ohne das erotisierende Spiel zwischen Stoff und Haut. Was beim Mann der »Todesstreifen« – das Klaffen zwischen Strumpf und Hosensaum, das Sichtbarwerden des nackten Körpers –, ist bei der Frau erotische Überraschung. Es macht Schlagzeilen, wenn ein Designer für Männermode den Hosensaum hebt und den Knöchel nackt lässt; dagegen lockt selbst das durch Schlitze bloßgelegte weibliche Hinterteil kaum mehr einen Hund hinter dem Ofen hervor. Die in der aristokratischen Mode angelegte Erotisierung des Körpers fand nach der Französischen Revolution vorzugsweise auf dem weiblichen Körper statt und trieb dort besonders reizende oder erschreckende Blüten. Dieser Unterschied zwischen den Geschlechtern, den die Mode macht, ist so extrem, dass man von einem »dimorphisme sexuel« gesprochen hat. 13
    Die Schönheit des individuellen Körpers ist in der Moderne nicht mehr eingebettet in eine höhere kosmische Ordnung. Das Fleisch, sein Reiz, seine Vergänglichkeit, die Einmaligkeit eines flüchtigen Moments, wurden Signum der weiblichen Mode. Letzten Endes geht es in der weiblichen Mode um das, was die männliche Mode um der Beständigkeit des Institutionskörpers willen verdeckt: um die Metamorphosen des Leibes, um den Weg allen Fleisches. Die weibliche Mode entäußert das Individuum an seine Leiblichkeit.
    Zugleich zeichnet die Moderne das Bestreben aus, diese »Zweiförmigkeit« der Geschlechter zu überwinden. Das Zauberwort dafür heißt Unisex. Voraussetzung für die Gleichheit zwischen den Geschlechtern war das Zurücklassen, die Überwindung des Weiblich-Weibischen. Praktisch sollte dies durch Übertragung der männlichen Kleider in die weibliche Mode geschehen. Diese Übertragung ist das bestimmende Prinzip der Mode in der Moderne, die somit wesentlich als Crossdressing beschrieben werden muss. Zum einen – und das ist Gemeingutder Modegeschichtsschreibung geworden – wurde die Herrenmode der Moderne, wie sie sich im 18. Jahrhundert im englischen Landadel entwickelte, in die Damenmode übertragen. Der englische Landadel zeigte in seiner Kleidung pragmatisch, dass er seine Güter anders als der durch seine Kleider völlig behinderte, funktionsuntüchtige französische Adel selbst bewirtschaftete. Verwandelten sich die französischen Aristokraten, wie die frankophobe englische Satire nicht müde wurde zu betonen, durch die Mode in »Äffchen« und »Püppchen«, so konnten sich die englischen Aristokraten durch die raffinierte Einfachheit ihrer Kleider in all ihrer Männlichkeit gegen die französische, weibische Korruption verwahren. 14 Aus dieser englischen Kleidung entwickelte sich

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