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Angezogen - das Geheimnis der Mode

Angezogen - das Geheimnis der Mode

Titel: Angezogen - das Geheimnis der Mode Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Vinken
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gebraucht wird, auslöschen muss, dass die Spuren dieses Arbeitsprozesses an ihm nicht sichtbar werden dürfen – aus der Verkehrung des bisher Selbstverständlichen hat das Maison Martin Margiela seinen Witz gezogen. Die Kulturarbeit des Kleides am Körper, die ihn zu einem gut angezogenen, idealisierten Körper macht, wird in seinen Kleidern verrückt, entstellt. Am offensichtlichsten verschieben die Oversize-Kollektionen die Vorstellung des Passenden, des wie angegossen Sitzenden. Margielas Kleider leisten die Dekonstruktion des in der Mode fetischisierten Körpers durch ein Zusammenspiel von Mannequin und Körper. Bei keinem anderen Designer scheint der Unterschied zwischen fetischisierter Weiblichkeit und individuellem Träger Frau so klar auf. Margielas Mode macht den Körper als Ort fetischistischer Einschreibungen lesbar. Sie zeigt den Körper, der mit diesen Einschreibungen nicht identisch ist; die vom Maison Martin Margiela angezogenen Frauen verkörpern den Fetisch Weiblichkeit nicht. Sie tragen ihn als Fremdkörper spazieren. Margielas fertige Kleider sehen aus wie Kleider, die auf eine Schneiderpuppe gesteckt sind; die Nähte sind unversäubert, Abnäher sichtbar. All das versteckte Können desSchneiders ist nach außen gekehrt. Die Kunst des Schneiders besteht darin, unsere Körper auf die Norm der idealisierten Puppenkörper zu bringen, die die Mannequins verkörpern und deren Ideal wir nachfolgen. Die Mannequins heißen nach der Schneiderpuppe, im Französischen mannequin , was wiederum eine Anleihe aus dem Flämischen ist: mannekijn. Sie setzen den Puppenkörper in Bewegung. Margielas unfertige Kleider legen die Faszination der Mode an dem Unbelebten, an der Puppe in ihrem Herzen frei. Sie machen diesen Fetischismus der Mode lesbar. Mit der Offenlegung ist dieser Prozess umkehrbar geworden. Nicht das leblose Mannequin wird restlos verkörpert; vielmehr erscheint der menschliche Körper jetzt als Körper der Schneiderpuppe. Er führt die Differenz zwischen lebendigem Körper und der Norm des Mannequins vor. Der Frau wird fetischisierte Weiblichkeit nicht mehr auf den Leib geschneidert; sie stellt sie aus, sie lebt neben ihr, weil sie nicht spurlos darin aufgeht.
    Was Margielas Kleider so einzigartig macht wie die der Haute Couture, aber deren Prinzipien auf den Kopf stellt, ist die Umwertung des Maßschneiderns auf der Puppe. Margielas Kunst schneidert nicht mehr nach idealen Maßen, um die Fehler der Individuen zu verdecken und die klassische Statue in uns in eine trügerische Bewegung zu versetzen. Indem er diese Maschinerie entlarvt und die Faszination des Anorganischen, die Norm, das Bild, das ihr Funktionieren in Gang hält, bloßstellt, schafft Margiela auf der anderen Seite des fetischisierten Körpers der Puppe den Raum für das Individuelle im Abdruck der Körper jenseits des Unbelebten: jenseits von Puppe und Statue. Konzeptuell ist Margielas neuer Individualismus die direkte Konsequenz der dekonstruierten Beziehung zwischen Mensch und mannekijn. Die Einzigartigkeit seiner Kleider liegt im indexierten Abdruck individueller Körper. Diese Spuren sind Zeichen, die der Körper im Leben zurücklässt auf seinem Weg zum Tod.
Fama: Marke als Makel
    Die Shows des Maison Martin Margiela zeichnen sich durch das Unkenntlichmachen der Mannequins aus. In den anderen Modehäusern sind sie zu den Stars der Mode schlechthin avanciert, deren Wiedererkennbarkeit Gold wert ist. Als allgegenwärtige Gesichter der Reklame bieten sie eine narzisstische Identifikationsfläche und sind Motor des Verkaufs. Das Infame, das Margiela seinen Mannequins aufbürdet, steht gegen die weltweite Fama dieser Ikonen der Moderne. Margielas Anonymisierung der Mannequins während der Show schwankt zwischen Diskretion und Gewalt.
    Der schwarze Balken über den Augen garantiert in Zeitungen das Incognito von unter Verdacht stehenden oder bereits als Verbrecher verurteilten Personen, die man in der Öffentlichkeit nicht erkennen soll, weil man fürchtet, dass der Volkszorn sich an ihnen entlädt. Sie sollen inkognito bleiben, weil sie infam sind. Der Balken, der bei Margiela üblicherweise über die Gesichter der Mannequins gedruckt ist und in der Kollektion des Sommers 2010 in eine Sonnenbrille verwandelt wurde, assoziiert den Träger mit dem aus dem Gesellschaftskörper Ausgeschlossenen. Die alternativ stattfindende »Verschleierung« der Mannequins mit über das Gesicht gezogener Baumwollgaze könnte etwas von der Erotik des

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