Angezogen - das Geheimnis der Mode
und Sport, Tag und Nacht. Ideal gelingt dies, wenn aus dieser Disharmonie wie in diesem Falle ein ästhetischer Mehrwert wird: ein Witz, über den man lächelt, oder sich zuzwinkert.
In diesem Kleid treffen sich zwei Markenzeichen:der Reißverschluss, der »Elbaz für Lanvin« signalisiert, und die Rüsche als Modeemblem der Saison. Ihr witziges Zwiegespräch hebt sie beide. Ob Elbaz Walter Benjamins an Baudelaires Gedicht A une passante (»An eine, die vorübergeht« oder, wie Benjamin schlich übersetzt, »Einer Dame«) entwickelte Theorie von der Rüsche am Kleid kennt 107 , mag dahingestellt bleiben; so oder so ist die Rüsche frivol überflüssiges Emblem des Modischen schlechthin, Nonplusultra des Ornamentalen. Der Reißverschluss, funktional ohne jeden Schnickschnack, wird nicht klassisch unauffällig unsichtbar gemacht, sondern gleichzeitig versteckt und betont. Die Rüsche bekommt eine paradoxe Funktion: Sie verdeckt auffällig, sie springt ganz wörtlich in die Augen. Die Funktion »Reißverschluss« wird durch die entblößende Verdeckung markiert umspielt. Der Reißverschluss reguliert die Tiefe des Dekolletés und den mehr oder weniger hohen Schlitz im Rock. Seine ursprünglich praktische Funktion wird erotisch gewendet. Die Rüsche legt den Clou des Kleides offen: Ein einziger Ruck und man steht nackt da.
Aber das ist nicht der einzige Witz. Dank des Reißverschlusses wird der Stoff in raffinierten Falten um den Körper geschmiegt. Das Modellieren von Busen, Taille, Hüften durch Faltenwurf steht in der Tradition des Abend- oder Cocktailkleides. Doch anders als das klassische Cocktailkleid ist dieses Kleid aus einem einfachen, stumpfen Wollstretch, in dem man sich so bewegen kann wie in einem T-Shirt oder einem Jogginganzug. Niedrig Funktionales prallt mit Hohem zusammen. Der ästhetisierte Störfaktor, die harmonisierte Dissonanz befördert eine zeitgemäße Eleganz. Das ist das Erfolgsgeheimnis des neuen Pariser Chics und seiner Couturiers: Lanvin, Balenciaga, Mouret (mit ups and downs), Chloé oder Givenchy. Sie restaurieren das europäische Eleganzideal, indem sie sich die oft verstörenden Impulse, wie sie die Mode der Achtzigerjahre mit Westwood, Comme des Garçons oder Margiela auszeichnete, einverleiben. Ihre erfolgreiche Entdramatisierung des Kleides verdankt sich der Aneignung und gleichzeitig der Entschärfung der in derMode der Achtzigerjahre entwickelten Strategien. Sie ästhetisieren die in der Mode nach der Mode entwickelten, dekonstruktiven Verfahren und stellen ihre Dynamik im Ornament still. 108
Während McQueen den Mythos Mode durch die Frauen, die er für seine Shows als Models gewinnen konnte, weiterschrieb – die Londoner Fetischkönigin Michelle Olley, die Paralympics-Athletin Aimée Mullin, das Supermodel Kate Moss –, strich Margiela den Mythos Mode durch. Und so sang- und klanglos, so gesichts- und geschichtslos wie er als Designer inkognito geblieben ist, hat er sich auch 2007 von seinem Label Maison Martin Margiela verabschiedet.
Die Kollektionen des Hauses Martin Margiela drehen sich weniger um Geschichte als um Zeit. Seine Mode ist folglich weniger historistisch-thematisch, seine Schauen zielen auf Strukturelles, nicht auf spektakuläre Happenings. Abstrakt minimalistisch bringt es die Rückseite der modernen Subjektnorm auf den Laufsteg: die Verdinglichung der zur Ware entfremdeten Weiblichkeit. Schnitt für Schnitt hat Martin Margiela so raffiniert wie systematisch die Verfahren der Mode dekonstruiert und durch diese systematische Durchkreuzung unser Verständnis von Mode grundlegend verändert. 123 Weiblichkeit, von der Mode als Fetisch konstruiert, zerlegt er. Diese De- und Rekonfiguration betrifft drei für die Mode konstitutive Momente: erstens das Verhältnis von Kleid und Zeit, zweitens das Verhältnis von Kleid und Gestalt und drittens die Präsentation der Marke, der Gesichter und die Namen, die sie »verkörpern«. Die zentrale Figur, die dekonstruiert wird, ist die des Zeuxis von Herakleia, des berühmtesten aller antiken Maler. Am allerberühmtesten war er für seine Frauenbilder. Zeuxis wollte die Schönheit selbst, Helena, malen. Da keine Frau mit solcher Vollkommenheit gesegnet war, suchte er fünf Frauen aus und setzte das Bild aus ihren Schönheiten zu einem Ganzen zusammen. 124 Bei Martin Margiela tritt die Frau nicht als zusammengesetztesGanzes, sondern als zerstückelter Körper ins Bild. Dem ganzen Körper, zu dem sie zusammengesetzt werden
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