Angezogen - das Geheimnis der Mode
geknotet. Der andere aufgerufene Typus ist der der Ceres-Priesterin. Das doppelte Tuch, himation, der horizontale Faltenwurf über dem Torso, der vertikale Faltenwurf im unteren Teil und schließlich das Spielbein, dessen Knie prononciert unter dem Stoff hervortritt, sind ihre wichtigsten Merkmale. Aber dieser Faltenwurf lässt nichts durchschimmern; er verpackt. Und damit sind wir beim Schlimmsten.
Gerade dadurch wird der Torso bei Kawakubo hervorgehoben, dass er nicht nackt, sondern dick eingepackt ist – damit aber eben die klassische europäische Schneiderkunst, der es um kunstvolles, enthüllendes Verschleiern ging, kunstvoll überboten wird, um zu einem entgegengesetzten Resultat zu kommen. Durch eine völlig neue Technik des Drapierens auf dem Körper, durch unsichtbare Nähte und Falten wird die Schwerkraft übertrumpft – diese Falten fallen eben nicht umspielend am Körper. Der Stoff sieht jetzt nicht mehr aus wie ein Schleier, der sich selbst kunstvoll unsichtbar durchsichtig macht, um den Körper umso nackter zu zeigen, sondern dankdieser anderen Kunstfertigkeit wird er undurchsichtig schwer. Hier sieht man nichts anderes als die schiere, massive Stofflichkeit der Falten.
Das Motiv, das dieses Kleid parodierend enttäuscht, ist zum einen das des nackten Oberkörpers, der sich schön wie der idealisierende Brustpanzer unter dem Jersey abzeichnet. Und es ist zum anderen das des nackten Körpers unter Schleiern. Den abendländischen Interpretationen, Imitationen, Klassizismen aller Art wird in diesem Entwurf von Kawakubo übel mitgespielt. Über den Sex-Appeal jener Kleider macht sich dieses Abendkleid lustig, indem es das Verschleiern zum Einpacken macht, die Verwandlung von Stein in hauchfeine Schleier rückgängig versteinert. Die dynamisierende Spirale der Aufwärtsbewegung betont den Torso – also das, was bei der Venus nackt aus den Stoffen aufsteigt. Die Nacktheit dieses Leibes wird dabei im Gegenbild aufgerufen. Die Falten des Kleides lassen kein Fleisch verführerisch hindurchschimmern, sondern verpacken den Körper in steinerne Falten. Was im antiken Marmor höchste Kunst durch den Anschein von textiler Stofflichkeit bewies, beweist nun in ebendiesem Stoff die Qualität der steinernen Abbildung von Stoff.
Kawakubo bringt die Dialektik von Stein und Fleisch zu einem paradoxen Höhepunkt. Ihr Kleid wird zu Stein, damit der Körper sinnlich lebendig werden kann. So entsteht im Durchstreichen des alten Sex-Appeals eine neue Erotik, die nicht zuletzt in der Beweglichkeit liegt, die die Frau in diesem Kleid im Gegensatz zum klassischen Abendkleid hat. Frau ist kein passives Ausstellungsobjekt, und kann, comme des garçons, ohne Angst vor dem Verrutschen Karate machen oder, wahlweise, in ein Taxi im Schneematsch springen – im ganz großen Stil.
Rüsche und Reißverschluss
Den Einfluss Kawakubos und ihrer Umwertung aller Werte zeigt schön ein Kleid von Lanvin aus dem Winter 2009/10 (Abb. 21). Alber Elbaz, der seit 2001 für das Design des Hauses Lanvin verantwortlich zeichnet, hat das Neoklassizistische zu einem bestimmenden Thema gemacht. Wie schon bei Chanel und Kawakubo stößt Sportliches, ja Militärisches auf elegant frivol Weibliches. Auffälligstes Merkmal sind Reißverschluss und Rüsche. Der männlich sportliche, ja militärische Reißverschluss ist das Markenzeichen von Alber Elbaz. Selbst in den zartesten Cocktailkleid-Kreationen zwischen Tüll, Samt und Seidensatin prangt er. Elbaz lässt ihn grundsätzlich vom rein Funktionalen ins Ornamentale wechseln. Aber dieses Ornament, das seine alte Bedeutung in den neuen Kontext mittransportiert, durchkreuzt die üblichen Konnotationen, die man mit einem Cocktailkleid verbindet. Als Inbegriff weiblicher Eleganz und vielleicht sogar Verletzlichkeit ist es das Gegenteil sportlich männlicher Funktionalität. Der Reißverschluss am klassischen Cocktailkleid ist selbstverständlich in der Farbe des Stoffes, fein und leicht und durch einen Steg verdeckt, während er hier metallisch offengelegt ins Auge springt. Beispielhaft kann man hier die geistreich pointierte Arbeit am »Bild der Frau« illustrieren. Immer wieder geht es in der Mode darum, zu damenhafter Weiblichkeit geronnene Bilder zu verschieben, zur verrücken, zu durchkreuzen: kurz, den Betrachter zu erstaunen, zu verblüffen, zu überraschen. Das wird durch ein Aufeinanderprallen von Gegensätzen erreicht: high and low, Funktion und Ornament, Männliches und Weibliches, Repräsentation
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