Angezogen - das Geheimnis der Mode
Versteckens und Entblößens haben. Aufgerufen wird aber auch die Plastiktüte der Armen und Asozialen, die zum Sniffen über den Kopf gezogen wird, oder die Maske, die sich Terroristen und andere über den Kopf ziehen, weil sie nicht erkannt werden wollen. Infam im wahrsten Sinne des Wortes ist auch die Methode, selbst als Modeschöpfer namenlos zu bleiben; infam auch die Weigerung, den Kollektionen klingende Namen zu geben. Zu ihrer Identifikation erhalten sie einfach eine Nummer.
Zugeschnitten
Für die Sommerkollektion 2007 kündigt das Maison Martin Margiela, jetzt ohne den Namensgeber, eine Neuentwicklung an: »Eine minimalistischere, zugeschnittenere Weiblichkeit ist manchmal scharf.« Die neue Silhouette wird als »länger, schlanker und plastischer« beschrieben, und sie ist ausgesprochen asymmetrisch: »Asymmetrie wird durch nur ein Schulterpolster unterstrichen.« 127 Und in der Tat kann man von einer Wende sprechen, die technisch am augenscheinlichsten in den nun sorgfältig gefertigten Kleidern wird. Die unversäuberten Nähte waren bereits bei H&M als Must angekommen. Untergründig jedoch scheint ein anderer, grundlegenderer Wechsel bestimmender: Das Wechselspiel zwischen Mannequin und Körper wird durch ein Wechselspiel von Nacktheit und Prothese, von natürlichem und künstlichem Fleisch abgelöst. Im Vordergrund steht nun nicht mehr die Gestaltung der Kleider und die Gestaltung des Körpers durch die Kleider; stattdessen wird die Gestaltung des Körpers durch die Schönheitschirurgie inszeniert. Das Schneiden ins Fleisch wird in den Kleiderschnitten zum Thema. Über den Steg laufen Zwitterwesen zwischen Geschaffenem und Gezeugtem. Verschiedene Strategien sind dabei zu beobachten. Offensichtlich wird das Verhältnis von Verhüllen und Entblößen, von Haut und Stoff verschoben. Der Unterschied zwischen dem Verhüllenden und dem, was verhüllt wird, zwischen Körper und Kleid, kann dabei durch Stoffe, die an Muster von Vasarely erinnern und die Gestalt irisierend auflösen und ins Flimmern bringen, unbestimmt werden. Oder das, was verhüllt – der Stiefel etwa, der das Bein wie mit einer zweiten Haut aus Leder umschließt – wird noch einmal eingehüllt, nämlich von antik drapierten Stoffbahnen, als wäre es eine Prothese. Die Hosen dienen nicht der Bedeckung der Beine, sondern fallen überlang über die Schuhe. Der Schlitz eines Lederrocks öffnet sich nicht auf die Haut oder Strümpfe, sondernüber Lederleggings, die wiederum über Stiefel gespannt sind. Durch diese Technik wird die Gestalt in ihren konventionellen Umrissen entstaltet. Verkehrt, verrückt wird aber auch das Verhältnis von Verhüllen und Entblößen, wenn das Verhüllende – der Stoff, das Leder – genauso noch einmal verhüllt werden kann wie der Körper. Wenn es keinen Unterschied mehr zwischen der ersten und der zweiten Haut gibt, wird das Nackte unheimlich virtualisiert. Wir bewegen uns in Richtung Schönheitschirurgie.
Das von dem Label 2006 in New York eröffnete Geschäft ist 2007 umgebaut worden; in Einrichtung und Mode stand bis zum neuerlichen Umbau 2008 der Aspekt des Klinischen im Vordergrund. Dieses Moment war schon immer unübersehbar: Grundsätzlich werden die Kunden von Verkäufern in weißen Kitteln empfangen. Weiße Kittel tragen auch die Couturiers bei der Arbeit; sie bekommen hier aber noch eine andere Konnotation. Die »blouses blanches« stellen mit den »blouses« die Arbeitskleidung gegen den Anzug; sie bezeichnen aber auch im Zusatz des »Weißen« den Kittel des Chirurgen. Und die schneiden bekanntlich nicht wie die Modemacher in Stoffe, sondern ins Fleisch. Weiße Kittel werden von Apothekern, Krankenschwestern, Ärzten, Laborangestellten oder Psychiatern getragen. Ihr strahlendes Weiß lässt ihre makellose Sauberkeit, hygienisch einwandfrei, ins Auge springen. In Modegeschäften wird üblicherweise nicht die Arbeitskleidung der Profession getragen, sondern Kleider, wie sie den öffentlichen Raum der Stadt prägen: elegant zurückhaltendes Nachtblau, Hautfarben oder Schwarz. Das klinische Auftreten der Verkäufer findet sich durch die Einrichtung des New Yorker Geschäfts unterstrichen. Stühle und Kleiderbügel sind mit weißer Baumwolle, abziehbar und kochfest, überzogen; ansonsten weißes Plastik, abwaschbar. In die Umkleidekabinen sind quasi als Bank Badewannen eingebaut, die mit Plexiglas abgedeckt sind. Darauf liegen mit kochfester Baumwollumhüllung unfertig bezogene Kissen. Was früher den
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