Angor - Schatten der Vergangenheit (Kriminalroman)
selbst und seine impulsive Art. Raven ging vor, Henry folgte ihm, der andere dicht dahinter.
„Na toll, jetzt wirst du abgeführt und …“
Henry brachte Ordnung in seine Gedanken. Es gab nicht einen rationalen Grund Angst zu haben, hier waren so viele Menschen. Sie betraten ein Treppenhaus, hier lief niemand herum … das war Henrys letzter Gedanke. Denn dann sank er besinnungslos nach einem Schlag des einen in die Arme des anderen.
Als Henry erwachte, befand er sich allein im Hotelzimmer von Nolan. Gut verschnürt auf einem Sofa liegend, begannen seine Lebensgeister zurückzukehren. Henry lachte, er wusste nicht, warum, aber er lachte und lachte und konnte nicht aufhören. Hatte er einen Haschkeks gegessen oder was war los? Nein, daran hätte er sich erinnern können. Die Zeit verrann, er beruhigte sich zunehmend. Er schaute sich um und fand die Räumlichkeiten sehr gediegen.
Dieses Hotelzimmer war mit seinem nicht zu vergleichen. Seine Angst war verschwunden, er fühlte sich gut. Wenn er sich jetzt hätte bewegen können, wäre die sicherlich gut bestückte Minibar fällig gewesen.
Seine Hand- und Fußgelenke schmerzten, aber ansonsten ging es ihm gut. Die Fremden würden bald wiederkommen, wahrscheinlich war Blackstone dann auch mit dabei.
Warum die beiden ihn aus dem Verkehr gezogen haben, verschloss sich Henry gänzlich.
Seine Schlussfolgerung war richtig, aber es dauerte doch länger. So schlief Henry ermattet ein und wurde später recht sanft geweckt. Nolan rüttelte an seiner Schulter. Die Fesseln waren schon entfernt.
Henry streckte sich und hasste sofort seine unbequeme Kleidung und denjenigen, der so straff die Schnüre zugezogen hatte.
Er massierte seine lädierten Handgelenke und nahm seine Umgebung gar nicht wahr.
»Guten Tag, Herr Melcher, wer ich bin, wissen Sie ja. Sehen Sie uns diesen Umstand bitte nach. Ich kann genau nachempfinden, wie Sie sich jetzt fühlen, glauben Sie mir. Eine ähnliche Situation hat sich vor geraumer Zeit schon einmal zugetragen.
Da saß ich auch einem Fremden gegenüber und war genauso durcheinander wie Sie im Moment. Sorry, dass Sie von meinem Schwager so eine Behandlung erfahren mussten.«
Henry schaute Raven und dann Nolan mit großen Augen an. Sie saßen ihm schon einige Minuten gegenüber und beobachteten ihn belustigt …
»Wenn Sie jedem, der Ihre Familie länger anschaut, körperlich so zusetzen, dann haben Sie aber viel zu tun .«
Nolan reichte ihm die Hand, Henry ergriff sie.
»Sie haben zur falschen Zeit nur das Falsche erwähnt. Nochmals, sorry!«
Raven ergänzte schmunzelnd:
Nolan ist im Moment, was meine Sicherheit anbelangt, sehr empfindlich. Von dem Überfall in New York haben Sie ja sicherlich gelesen. Nun nimmt er jeden, der ihm suspekt vorkommt, etwas genauer unter die Lupe. Eigentlich ist er sehr besonnen, aber Sie hätten die Brosche nicht erwähnen dürfen. Die ist für ihn ein rotes Tuch. Was wissen Sie über mutmaßliche Geheimagenten und geraubte Schmuckstücke?«
»Nicht wirklich viel …«
Henrys Schmerzen verflogen ebenso wie die Zeit. Die folgende Unterhaltung dieser drei sehr unterschiedlichen Männer dauerte bis in das frühe Morgengrauen. Sie versta nden sich auf Anhieb sehr gut. Diese Sympathie war allen dreien schon fast unheimlich.
Sie tauschten sich aus …
Nolan war über Ravens Offenheit verwundert, aber er verstand es. Der kleine wohlbeleibte deutsche Anwalt aus Hamburg lag genau auf ihrer Wellenlänge. Henry verließ dann leicht angeheitert das behagliche Zimmer im Hotel Adlon. Sie versprachen, in Kontakt zu bleiben. Raven sprach eine Einladung nach London aus, die nahm Henry herzlich gern an. Als Henry gegangen war, tranken sie noch einen Absacker. Beide konnten so aufgedreht noch nicht ins Bett gehen. Es fielen ein paar flapsige Sprüche, ihr eher brüderliches Verhältnis war wieder zurückgekehrt.
Als Raven dann sein Zimmer betrat, fand er einen braunen DIN-A4-Umschlag, den jemand unter den Türschlitz geschoben haben musste. Es war nichts darauf vermerkt. Raven bewegte sich leise zum Schreibtisch hin und knipste eine kleine Tischleuchte an. Dann löschte er das Deckenlicht und scha ute kurz in den Schlafbereich. Seine Frau schlief tief und fest. Vor wenigen Sekunden spürte er noch seine eigene Müdigkeit, nun war sie abrupt verschwunden. Irgendetwas tief in ihm drin schickte eine Botschaft. Nachdenklich riss er den Umschlag auf, darin befand sich ein Hochglanzfoto. Das hatte er schon
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